Ostern 2023: Ein guter Zeitpunkt, um über die Tarotkarte Der Gehängte nachzudenken. Viele Menschen ängstigen sich vor dem Tarottrumpf XII, da sie ihn mit Stagnation, mit Opfer und Sterben verbinden. Nun, dies ist auch definitiv so, doch stagniert der Gehängte eigentlich, weil er sich zu sehr vom Status Quo — beruflich, privat, gesellschaftlich — abhängig gemacht hat.
Er muss etwas opfern, weil er bisher auf die Verpackung, nicht den Inhalt geachtet hat. Und er muss einen Sterbeprozess zulassen, weil dies der natürliche Prozess des Lebens ist. 2019 beispielsweise war ein Jahr des Gehängten. Ostern 2020 und 2021 wurde ganz Deutschland in dieses Gefühl gezwungen. Und auch diese Ostern sind wir angesichts der Weltlage aufgerufen, uns in Verzicht und Loslassen zu üben. Vielleicht nutzt du die besinnliche Stimmung für eine kleine Osterlegung?
Ostern 2023 : Der Gehängte stirbt um zu leben
Wir kennen es aus dem Ostermythos: Der Kreuzigung folgt die Auferstehung. Und auch, wenn wir nicht alle Jesus sind — jedesmal, wenn wir etwas sterben lassen, kann etwas Neue in oder um uns reifen und lebendig werden. Gedanken, die jetzt zur Ostern und in Zeiten Coronas sicher wertvoll sind. Apropos Corona: Hier findest du ein spannendes Interview, in dem sich der kluge britische Tarotexperte Steven Bright mit mir über die Tarotkarten in Zeiten Coronas unterhalten. Der Gehängte ist darin natürlich auch Thema. Das Beitragsbild dieses Artikels zeigt seine Version des Gehängten aus seinem Spirit Within Tarot.
Im Folgenden möchte ich dir jetzt einen kleinen Auszug aus Rachel Pollacks Buch Tarotweisheiten zum Gehängten in meiner Übersetzung präsentieren. Ich finde, sie fasst die vielen Fassetten dieser tiefgründigen Karte perfekt zusammen. Ebenso wie zum Thema Pfingsten kann man die Gedanken der großen Tarot-Ikone sehr gut auf die kommenden Feiertage, auf Tod und Wiederauferstehung, übertragen.
Rachel Pollack: Entspannende Gedanken zum Gehängten
„Mir fällt immer wieder auf, dass viele heutige Tarot-Deuter den Gehängten negativ interpretieren. Dabei geht es nicht so sehr um Verrat, sondern um ein Steckenbleiben und Festgefahrensein – um ein schmerzhaftes Opfer. Ehrlich gesagt, erstaunt mich das. Für mich hat diese Karte immer eine Art Befreiung des Geistes bedeutet. Das Visconti-Sforza Tarot zeigt ihn mit entspannter Haltung und gelassenem Ausdruck. Ebenso das Tarot de Marseille und besonders das Waite-Tarot. Dort ist das Gesicht von einem Heiligenschein umgeben, ein Motiv, das selbst bei den drei Engeln auf den Liebenden, Mäßigkeit und Gericht nicht zu sehen ist.“
Aus Rachel Pollacks Tarotweisheiten, erschienen im Königsfurt-Urania Verlag.
Der Gehängte und die Numerologie
„Drehen wir die Ziffern der 12 – die Zahl des Gehängten – um, erhalten wir 21. Und legen wir den Gehängten aufrecht (nicht, um ihn zu korrigieren, sondern, um seine Pose deutlicher zu sehen) neben die Welt, sehen wir deutlich etwas anderes als Verrat, Exekution, Leiden oder Opfer. Der Gehängte gleicht dann der Welt so sehr, weil er eine Stufe, eine Entwicklungsphase zeigt, in der wir die großen Wahrheiten für kurze Zeit begreifen können.“
Aus Rachel Pollacks Tarotweisheiten, erschienen im Königsfurt-Urania Verlag und übersetzt von Kirsten Buchholzer.
Der Gehängte und die Welt aus dem Borderless RWS Tarot © Public Domain
„In diesem Moment beginnen wir, etwas nicht länger begrifflich, sondern wirklich zu verstehen, was die Griechen als Gnosis und die Kabbalisten als Da’ath bezeichneten. Die Welt tanzt gelöst und mit ausgestreckten Armen außerhalb der gewöhnlichen Realität. Der Gehängte bewahrt den Zustand der Erkenntnis. Dabei steht er allen andern entgegen und verharrt er absolut still, um an seinen Erkenntnissen festzuhalten. Daher sind in den meisten Versionen seine Arme auf den Rücken gebunden. Die okkulte Tradition sieht die Arme des Gehängten als Dreieck, ein Symbol der Trinität, und die gekreuzten Beine als die Zahl Vier, die für „Vierheit“ steht. Drei und Vier, Geist und Materie. Addieren wir die beiden Zahlen – fügen also materielle Praktiken zu spirituellen Konzepten – erhalten wir Sieben, den Wagen, der für Selbstkontrolle und äußere Lebensumstände steht. Aber multiplizieren wir Drei mit Vier, ergibt das Zwölf, den Gehängten.“
Der Gehängte und die Kabbala
„Der Gehängte ist der Lebensbaum. Dieser findet sich (etwas abgeändert) entlang seines Körpers. Um ihn zu sehen, müssen wir die Karte allerdings wieder „richtig herum“ drehen: Der Scheitelpunkt seines Kopfes ist Sephira Eins, die buchstäbliche Krone. Die Schultern stellen die Sephiroth Zwei und Drei dar, die Ellbogen Vier und Fünf. Die Körpermitte ist die Sechs. Knie und Fuß des gekreuzten Beins bilden Sieben und Acht, das Knie des vertikalen Beins Neun und der Fuß Zehn. Da der Gehängte jedoch eigentlich auf dem Kopf steht, ist sein Körper ein umgekehrter Lebensbaum. Im Biologie-Unterricht haben wir über das Auge gelernt, dass die Netzhaut Bilder verkehrt herum empfängt. Unser Gehirn polt unsere Wahrnehmung so, dass wir uns trotzdem bewegen können. Für uns steht die ganze Welt also buchstäblich Kopf.“
Aus Rachel Pollacks Tarotweisheiten, erschienen im Königsfurt-Urania Verlag und übersetzt von Kirsten Buchholzer.
Der Gehängte und die Chakren
„Viele Leser kennen sicher die Chakren, die sieben Energiezentren des menschlichen Körpers. Sie haben verschiedene Farben, denn die Lebensenergie Kundalini wird bei ihrem Aufstieg entlang der Wirbelsäule transformiert. Die Farbreihenfolge vom unteren Wirbelsäulenende hoch zur „Krone“ lautet: rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett. Richtig, es sind die Farben des Regenbogens! Und das in exakt der gleichen Reihenfolge. Allerdings leuchten das Rot im Regenbogen oben und das Violett ganz unten auf. Der Körper gleicht also dem Regenbogen, wenn er Kopf steht. Somit haben wir zwei Sichtweisen des Gehängten – leidend oder erleuchtet.“
Aus Rachel Pollacks Tarotweisheiten, erschienen im Königsfurt-Urania Verlag und übersetzt von Kirsten Buchholzer.
Und nun wünsche ich dir viel Freude dabei, dir deine eigenen Gedanken zum Gehängten zu machen. Es gibt bei dieser hoch spirituellen Karte viel zu entdecken.