Last Updated on 30. Juni 2024 by Tarotwissen
Die Verbindung der Karte Turm mit der Bibel ist in der Tarotwelt gut etabliert. Kein Wunder, schließlich kann man besonders auf dem Bild des Waite-Smith-Tarots das Entsetzen der Baumeister von Babel gut nachvollziehen, das sie angesichts des Einsturzes des gewaltigen Bauwerks empfunden haben müssen, das bis an Gott heranreichen sollte. Das JHJV (Jahwe) diese Eitelkeit mit einem erzürnten Blitz aus dem heiteren Nichts bestrafen würde — damit hatten sie einfach nicht gerechnet. Im Tarot hat diese Geschichte zur Interpretation des Turms u.a. als Warnung vor Hochmut und Aufforderung zur Demut geführt. Ich bin gespannt, welche neuen Erkenntnisse mir der kommende Vortrag von Armin bringen wird.
Der Tarot-Turm und Pfingsten
Weniger bekannt ist die Verbindung des Großen Arkanums XVI mit dem Pfingstfest. Dabei haben bekannte Tarot-Kenner schon darauf verwiesen. Beispielsweise Rachel Pollack in ihren gesammelten Tarot-Weisheiten — ein monumentales, fast enzyklopädisches Werk von an die 500 Seiten. Sie schreibt dort: „Die Christen lehren von Pfingsten, dass der Geist hinabstieg und die Menschen mit seltsamen Lauten oder in unterschiedlichen Sprachen zu reden begannen. Gott erfüllte sie, und sie konnten Wunder außerhalb des menschlichen Bewusstseins ausdrücken. Babel ist die eine Seite des Turms, Pfingsten ist die andere. Und Captain Marvel fliegt zwischen ihnen beiden dahin.“
Gesammelte Tarot Weisheiten von Rachel Pollack
Übrigens habe ich 2008 das Buch aus dem Englischen für Königsfurt-Urania übersetzt (schwitz) und durfte 2009 auch noch ein Interview mit der sympathischen Rachel anläßlich unseres großen Tarot-Kongresses (unser = Tarot e.V.) in Hamburg führen.
Der Tarot-Turm, Babel und Pfingsten
Auch Johannes Fiebig hat in einem Vortrag „Vom Turmbau zu Babel bis zu den Zinnen von Hogwarts“, den er 2008 bei einem Tarot-Sonntag in München hielt, Pfingsten als wichtiges Element zur Interpretation des Turms hervorgehoben. Für ihn sind „Babel und Pfingsten zwei gegensätzliche Pole der Nutzung der höchsten Energie, die uns zur Verfügung stehen. Zwei ganz verschiedene Arten ‘aus dem Häuschen’ zu geraten: Gewalt zerstört und führt zu Sprachlosigkeit und Verwirrung. Liebe hingegen hebt die Sprachbarrieren auf und ermöglicht eine Verständigung über alle Grenzen hinweg.“ Die Anspielung auf Pfingsten macht der Autor u.a. an den Feuerzungen (dem hebräischen Buchstaben Yod) fest, die auf der Waite-Smith-Karte zu sehen sind.
Die Taube und der Tarot-Turm
Eine andere Anspielung auf Pfingsten im Tarot finden wir im Thoth-Deck von Aleister Crowley und Lady Frieda Harris. Dort wird auf dem Turm neben einer Schlange (im christlichen Glauben Symbol der Sünde) auch eine Taube (im christlichen Glauben Symbol der Erlösung) mit einem Ölzweig abgebildet. Natürlich verweist dieser Vogel auch auf die Legenden um die Sintflut, doch spielt das Tier auch beim Pfingsterlebnis eine wesentliche Rolle. Im Waite-Smith-Tarot begegnen wirdem weißen Vogel übrigens in diesem Zusammenhang auf dem Ass der Kelche, das gut als die Befruchtung durch den Heiligen Geist interpretiert werden kann (auch hier sind viele Feuerzungen zu sehen). Wie auch auf die jährliche Erneuerung der Macht des Heiligen Grals auf der Burg Monsalvat, die uns in den Sagen um König Artus begegnet — doch das ist eine andere Geschichte. Im Thoth-Tarot begegnen wir ihr ebenfalls auf Atu V, dem Hohepriester, und Atu 0, dem Narren. Welche Verbindungen ziehst du daraus?
Warum feiern die Christen Pfingsten?
Feuerzungen und Taube? Was genau hat das nochmal mit Pfingsten zu tun? Nun, holen wir kurz zum Ursprung des Festes aus. Pfingsten wird von den Christen am 50. Tag nach Ostern gefeiert. Dies wird deutlich, wenn man sich die alt-griechischen Bezeichnung pentekoste, “fünfzigster (Tag)” oder das englische Pentacost vor Augen führt, aus der der Begriff „Pfingsten“ hervorging. An diesem Tag ergoss sich angeblich der Heilige Geist über die Apostel Christi, die sich nach der Himmelfahrt ihres Anführers zum jüdischen Fest Schawuot versammelt hatten. Ein Wochenfest, das auch heute noch 50 Tage nach Pessach gefeiert wird. Von Samstag bis Montag feiern die Juden an ihm, dass Moses die zehn Gebote im persönlichen Gespräch mit Gott (naja, mit einem Dornbusch) erhielt. Sowohl im älteren jüdischen Fest als auch im darauf aufgesetzten christlichen geht es also um direkte göttliche Erkenntnisse, die der jeweiligen Anhängerschaft übermittelt wurden. Die direkte Erkenntnis durch Gott — ist das nicht schon einmal ein interessanter Hinweis auf die Bedeutung des Turms in einer Legung? Bedeutet das nicht, dass jede und jeder von uns im direkten Kontakt mit dem Göttlichen (ich als Nicht-Christin würde das als wohl Kontakt mit dem Höheren Selbst bezeichnen) steht, wenn sie oder er die Karte zieht? Dies macht den Turm zu einer der an Chancen reichsten Karte des Tarots. Im Tarottrumpf Stern können wir dann unsere Chancen wahrnehmen und umsetzen. Auf der persönlichen, wie auch auf der mundanen Ebene. Wie wird das Pfingsterlebnis noch einmal in der Bibel genau beschrieben?
Das Pfingsterlebnis in der Bibel
„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle [Jünger] am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören.“
Apostelgeschichten 2, 1–9
Der Tarot-Turm und das Pfingserlebnis
Wenn das kein Turm-Erlebnis ist: Der einschlagende Blitz, der nicht nur zerstört, sondern auch erleuchtet. Die Feuerzungen, die nicht verbrennen, sondern beflügeln — und die Apostel befähigen in allen Sprachen der Welt zu reden. Diesmal nicht wie beim Turmbau zu Babel, damit sich niemand mehr miteinander verständigen kann, sondern damit das Wort Gottes in alle Welt gebracht werden kann — auch nachdem Jesus nicht mehr unter ihnen weilt. Statt Sprachverwirrung geschieht hier also eine Aufhebung der Sprach- und Verständigungsgrenzen. Wie schön, wenn das dieses Pfingsten auch wieder in der Welt geschehen könnte. Aber vielleicht bedarf es eines wirklichen Turm-Erlebnisses, damit der Gedanke von Verständigung und friedlicher Kommunikation wieder im menschlichen Universum Einzug halten kann.
Dieser Artikel ist wesentlich länger geworden als beabsichtigt. Manchmal bin ich halt im Flow. Mir bleibt noch, dir ein erleuchtendes Pfingsten oder Schawuot oder was immer du feierst zu wünschen — und dich herzlich auf unser Tarot-Fest kurz nach den Feiertagen in Konstanz einzuladen. Die Anmeldung läuft über sekretariat@tarotverband.de .