Der Röhrig Tarot — Eine Einführung — Teil 2

Last Updated on 24. November 2022 by Tarot­wissen

In Teil 1 dieses Arti­kels habe ich meine Bezie­hung zum Röhrig-Deck dar­ge­stellt und die Karten geschicht­lich ein­ge­ordnet. In 2. Teil erläu­tere ich den Röhrig-Bil­der­schlüssel genauer.

Erklärungen zu Röhrig-Bilderschlüssel

Hier nun Gedanken zum Bil­der­schlüssel Röh­rigs, die mein Mann und ich erar­beitet haben und natür­lich keinen Anspruch auf Voll­stän­dig­keit erheben

Neben diesen Leit­mo­tiven, die sich übri­gens auch in vielen anderen Werk­zy­klen Röh­rigs finden, fallen auch ondere visu­elle Zusam­men­hänge auf: Auf vielen Karten arbeitet Röhrig mit einer Zwei­tei­lung des Bildes, viel­leicht, um auf die Dua­lität hin­zu­weisen, der wir in dieser Welt aus­ge­setzt sind. Dabei geht er nicht immer so offen­sicht­lich wie im Narren vor, wo er – wie bereits beschrieben – eine männ­liche Gesichts­hälfte recht grob­schlächtig an eine weib­liche fügt. Er schafft diese ver­ti­kale Tren­nung auch wesent­lich sub­tiler, zum Bei­spiel bei der Königin der Stäbe, die er mit einem nach innen und einem nach außen gerich­teten Auge darstellt.

Auch eine hori­zon­tale Zwei­tei­lung des Bildes fällt auf vielen Karten ins Auge. So sehen wir zum Bei­spiel auf Trumpf VI, Die Lie­benden, der eigent­lich von der lie­be­vollen Zusam­men­füh­rung männ­li­cher und weib­li­cher Ener­gien spricht, einen Riss quer durch das Bild klaffen.

Ein­her­ge­hend mit dieser Ein­tei­lung der Bilder in „vier Qua­dranten“ sollten wir auch immer den Schat­ten­wurf der ein­zelnen Motive berück­sich­tigen. Denn nicht nur der Teufel (hori­zon­tale Tei­lung) ist eine dia­bo­li­sche Figur. Ver­decken wir bei­spiels­weise die im Licht lie­gende Seite des Magiers, stellen wir schnell fest: Wo viel Hel­lig­keit ist, da ist auch viel Dunkel. Das umfasst alles, was wir bei den Themen einer Karte nicht sehen wollen oder können. Wir emp­fehlen sehr, mit allen 78 Karten das Expe­ri­ment des Abdeckens einer Hälfte – ob hori­zontal oder ver­tikal – zu wagen. Denn so ergeben sich span­nende neue Asso­zia­tionen und Denkanstöße.

Ein wei­terer wich­tiger Faktor, der eben­falls mit den Themen Dua­lität und Pola­rität in unserer heu­tigen Welt spielt, ist die Auf­tei­lung der Karten in solche, die wir mit dem „alten Europa“ und seinen klas­si­schen Werten ver­binden, und andere, die wir mit Ame­rika und den Themen der „Brave New World“ asso­zi­ieren. Das Trumpf­paar die Herr­scherin und der Herr­scher sind ein Para­de­bei­spiel hierfür.

Wäh­rend der Herr­scher mit ein­deu­tigen Refe­renzen an das tra­di­ti­ons­be­wusste, vor­re­vo­lu­tio­näre fran­zö­si­sche Königs­haus gebunden wird, erkennen wir bei seiner Part­nerin zahl­reiche Anspie­lungen auf die USA. Die sich daraus erge­benden Inter­pre­ta­ti­ons­ebenen (zum Bei­spiel altes gegen neues Wissen oder Stan­des­denken gegen den Ame­rican Dream) für die Karten sind man­nig­faltig und sagen im Posi­tiven wie im Nega­tiven nicht nur viel über diese sehr aktu­ellen Arche­typen, son­dern auch über eine wich­tige gesell­schafts­ana­ly­ti­sche Funk­tion des Tarot in der Gegen­wart aus. Die Gegen­über­stel­lung der Farben Blau und Rot, wie sie spe­ziell beim Herr­scher­paar vor­liegt, ist ein wei­terer häufig auf­tre­tender Bil­der­schlüssel im Deck.

Übri­gens sym­bo­li­siert für Röhrig die Farbe Rot ursprüng­lichste Weib­lich­keit. Damit wären wir bei einem Thema, dass die Beur­teiler der Röhrig-Karten immer wieder pola­ri­siert: Zumeist Frauen stören sich gern an der Schwäche des Künst­lers für weib­liche Run­dungen – beson­ders für bloße Brüste – und die Dar­stel­lung unver­hoh­lener sexu­eller Phan­ta­sien, wie zum Bei­spiel auf dem Prinz der Kelche. 

Kelche-Prinz und Kopf­kino © Carl W. Röhrig

Doch abge­sehen davon, dass die Dar­stel­lung weib­li­cher Nackt­heit in der Kunst jahr­hun­dert­lange Tra­di­tion genießt, befindet sich Röhrig mit seinen sexu­ellen Anspie­lungen in guter Gesell­schaft. Weist doch eines seiner Vor­bilder, der Thoth-Tarot von Crowley und Harris, sehr ein­deutig auf Geschlechts­teile und ‑akte hin. Gerade bei der Arbeit mit männ­li­chen und weib­li­chen Rat­su­chenden hat sich für uns erwiesen, dass diese Direkt­heit eher anspricht als abstößt.

Wie das Deck in einer Bera­tung wirkt, kannst du in einigen meiner Arti­keln nach­lesen, bei­spiels­weise hier:

Früh­jahrs­putz

Gefühl und Verstand

Die kleine Meerjungfrau

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