Last Updated on 24. Juli 2022 by Tarotwissen
Wir leben schon in spannenden Zeiten. Da fordern rationale Skeptiker immer stärker die wissenschaftliche Belegbarkeit des „Funktionierens“ spiritueller Disziplinen als ultimativen Beweis ihrer Seriosität und Sinnhaftigkeit.
Gleichzeitig muss die verstandesgelenkte Wissenschaft zunehmend eingestehen, dass Empirie und wertneutrale Sachbezogenheit uns bei der Suche nach objektiver Wahrheit und nach Erklärungen für die Wunder des Lebens letztendlich auch nicht weiter bringen.
The Times They are A‑Changing
Dem poetischen Bob Dylan war es schon 1964 klar: Die Zeiten ändern sich…
Schon länger, aber sicher seit dem Durchgang von Saturn und Jupiter durch den Steinbock und noch einmal angestoßen durch die Große Konjunktion der beiden Planeten zur Wintersonnenwende 2021 im Wassermann, steht die Welt Kopf. Nun, das hat sie vielleicht immer getan, doch das globale Chaos war nie so sichtbar wie heute. In all den Veränderungen, die die Menschheit gerade durchmacht, kommen wir weder im reinen Geiste der Wissenschaft, noch durch unabbrüchlichen Glauben voran: im Großen, wie im Kleinen.
Ich jedenfalls muss immer mehr feststellen, dass wir Menschen einfach nicht durch abstrakte Objektivität, sondern durch Emotionen gesteuert werden. Klar ist: Auch wenn wir uns für rationale Wesen halten ist es zwar ein hehres Ziel, das eigene Leben mit Logik und im Geiste der kritischer Vernunft zu gestalten — doch auch ein ziemlich unrealistisches. Von dieser deprimierenden Feststellung nehme ich mich natürlich keineswegs aus.
Tja, wäre es nicht schön, wenn du deine Gefühl und deinen Verstand in ständiger Balance halten und du deine ausgewogenen Entscheidungen aufgrund dieses inneren Gleichgewichts treffen könntest? Und wäre es nicht schön, wenn die diversen Fraktionen, aus denen sich unsere Gesellschaft bildet, es schaffen würden, Wissenschaft und Spiritualität gleichermaßen als wertvoll anzuerkennen und nicht auf der Suche nach Antworten in das eine oder andere Lager zu verfallen.
6 Schwerter — Wissenschaft und Spiritualität
Nicht nur in diesem hoch aktuellen Zusammenhang ist es lohnend, die Philosophie hinter der 6 Schwerter eingehender zu betrachten. Denn diese Tarotkarte hat uns viel über die fruchtbare Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Spiritualität zu erzählen. Das liegt sicher nicht nur daran, dass sie wie alle Sechser der Kleinen Arkana von Trumpf VI, Die Liebenden, beeinflusst wird, der die Themen Harmonie durch Herzensentscheidung, Verbindlichkeit und Aufbruch ins Spiel bringt. Sämtliches Schlagworte, die das Waite-Smith Deck visuell verarbeitet.
Die 6er im Tarot stehen für verhaltene Aufbruchsstimmung
Das Thema des Aufbruchs fällt hier besonders ins Auge. Kein siegesgewisser allerdings, wie auf der 6 Stäbe dargestellt, sondern meditativ, ruhig, melancholisch. Zwei verhüllte Gestalten – eine kindlich, eine erwachsen – sitzen in einem von 6 Schwertern durchbohrten und beschwerten Boot und werden durch eine weitere Person durch ein eigentlich ruhiges, doch vom tief stechenden Staken gewelltes, Wasser gelenkt. Woher die drei kommen ist nicht ersichtlich und auch die Anlegestelle ist noch unsichtbar.
Die 6er der Kleinen Arkana des Tarot sprechen alle von Aufbruch. Und das in ganz unterschiedlichen Formen. Die hier gezeigten Bilder stammen aus dem RWS Borderless © Public Domain. Hier ein kurzes Video dazu.
Die 6 Schwerter — ein Bild der Seelenreise
Hier schifft ein Boot durch ein Niemandsland, eine Welt Grau in Grau. Woher kommen die drei Personen auf dem Boot — wohin fahren sie? Vielleicht wissen sie das noch selbst nicht. Während der Überfahrt haben sie aber reichlich Zeit zum Reflektieren über vergangene Ereignisse und zum Planen der eigenen Zukunft. Es bleibt aber auch Raum zut Kontaktaufnahme mit den eigenen Emotionen. Denn obwohl sich diese Menschen auf einer Reise innerhalb der Logik betonten Schwerterwelt befinden, bahnt sich das Boot seinen Weg durch einen Fluss – Symbol des Unbewussten und der Gefühle.
Ein Motiv, das gern in Zusammenhang mit Sterben und Abschiednehmen in Verbindung gebracht wird, und eine gute Entsprechung in der Fahrt über den mythologischen Fluss Styx findet, der laut griechischer Tradition das Reich der Lebenden mit dem Totenreich Hades verbindet. Über den Styx kann nur Fährmann Charon setzen, um die Seelen der Toten in ihre neue Heimat zu verbringen. Die stille Überfahrt dient der Reinigung und Heilung. Ein notwendiger Prozess um einen Neuanfang herbei zu führen und der übertragen auf die Verarbeitung von oft schmerzhaften (siehe 5 Schwerter) Gefühlen sehr passend von Johannes Fiebig und Evelin Bürger in „Sternstunden mit dem Waite-Tarot“ als „Über-Setzen und Er-Gründen“ beschrieben wird. Mich hat diese Überfahrt zu meiner Seelenpartner-Legung Das Liebesboot inspiriert.
Egal mit welchem Thema du dich gerade auseinandersetzt: Gedanken und Sprache dienen dir jetzt, Unbewusstem oder Verdrängtem Ausdruck zu verleihen, Totgeglaubtes aus der Tiefe an die Oberfläche zu heben, um es abschließend und genesend befreien zu können. Dies macht die 6 Schwerter zu einer Karte der therapeutischen (Selbst)analyse. Ein Aspekt, der auch im Crowley-Harris-Deck besonders deutlich heraus gearbeitet ist.
Das Deck des Crowley-Harris betont die Wissenschaftlichkeit
Dabei fällt hier die Betonung auf den bereits Eingangs erwähnten Begriff der „Wissenschaft“. Ein Wort, dass das Herz eines Merkurs im Wassermann sicher höher schlagen lässt. Denn dieser astrologischen Korrespondenz hatte der englische Geheimorden Golden Dawn um die 19. Jahrhundertwende dieses Kleine Arkanum zugeordnet. Die nüchtern-abstrakte und sehr kommunikative Energie eines solchen Merkurs wird hervorragend durch den neutralen und durch viele vernetzende Striche bewegten Kartenhintergrund umgesetzt, aus dessen Zentrum sich ein schlichtes und doch hoch komplexes Symbolgebilde erhebt:
Sechs Schwerter – Symbol verschiedener Gedanken – haben sich in einem Hexagramm ausgewogen arrangiert und halten nun gemeinsam eine gekreuzigte Rose im Schach. Diese scheint von einem hellen (Schutz?)Kreis umgeben, der wiederum von einem Viereck eingegrenzt ist.
Wir haben es hier also mit der berühmten Quadratur des Kreises zu tun, die dafür steht, das Unmögliche zu wagen. Dies bedeutet im vorliegenden Falle laut Crowleys „Das Buch Thoth“: „Das vollkommene Gleichgewicht aller mentalen und moralischen Fähigkeiten, unter Mühen errungen und nahezu unmöglich, es in einer sich ständig verändernden Welt aufrecht zu erhalten.“
Die Sechs der Schwerter repräsentieren also für ihn den recht herausfordernden Kampf um geistige und ethische Ausgeglichenheit. Die Gefahr, dass dabei die zarte Rose der Spiritualität zerstört wird, ist beständig gegeben. Es verwundert daher wenig, dass der Golden Dawn diese Karte auch „Herr des verdienten Erfolgs“ titulierte. Wissenschaft also kein trockenes Faktensammeln, sondern eher eine geistige und spirituelle Disziplinierung zur Erlangung inneren Frieden?
Die Sechs in der Kabbalah
Eine solche Auslegung entspricht sicherlich der Sephiroth Tipheret, alles verbindendes Herzstück des kabbalistischen Lebensbaums und eine weitere Golden Dawn Korrespondenz dieser Karte – mit klarem Bezug zur bereits erwähnten harmonisierenden Kraft des Trumpfes Die Liebenden. Für Crowley jedenfalls scheint die 6 Schwerter von besonderer Bedeutung gewesen zu sein. Denn nur auf ihr lässt er Frieda Harris das ausgefeilte Rosenkreuz nachempfinden, das wir auf sämtlichen 78 Rückseiten des Decks finden.
Wer tiefer in die Geheimnisse dieses tiefgründigen Symbols einsteigen möchte, sei zum Einstieg auf Lon Millo DuQuettes „Aleister Crowleys Thoth Tarot“ verwiesen. (Es scheint auf Deutsch vergriffen zu sein, doch ist es weiterhin in englischer Sprache erhältlich.) Hier soll nur erwähnt werden, dass dieses Kalvarienkreuz für den ewigen Geist steht, der sich am Kreuze der sterblichen Materie opfern muss, um Erkenntnis und Erleuchtung zu erlangen. Ein guter Grund, um sich mit sämtlichen Tarotkarten eingehend zu beschäftigen und im Falle der vorliegenden Karte dafür die anstrengende Fahrt durch die tiefen Waitschen Seelengewässer auf sich zu nehmen.
Wohin führt dich deine Sehnsucht?
Aber was ist mit unserem Reiseziel? Diese Frage stellt sich auch Lilo Schwarz in „Dialoge mit den Bildern des Tarot“ mit „Wohin führt dich deine Sehnsucht?“ und bringt damit einen weiteren wichtigen Gedanken zu diesem Arkanum ins Spiel, den Carl‑W. Röhrig besonders gelungen umgesetzt hat: Ein kreisrundes Gedanken-Labyrinth, durch das sich die zwei farbigen Wurzelstränge einer bunten Blume schlängeln. Dies will sagen, dass unsere Visionen eine solide gedankliche Basis brauchen, bevor sie in die Realität geträumt werden können. Erneut finden wir hier also die Aufforderung zu klarer Analyse einer oft verwirrenden Gegenwart, damit der entscheidende Schritt in Richtung erfüllende Zukunft getan werden kann. Solange dies nicht getan ist, bleibt unser Ziel also im Dunkeln.
6 Schwerter — Zusammenfassung
Bodenständige Wissenschaft und beflügelnde Fantasie: Meine recht ausführliche Meditation über die 6 Schwerter lehrt mich einmal wieder , dass diese beiden Disziplinen einander bedürfen, um dir und mir die Suche nach den Geheimnissen und dem tieferen Sinn des Lebens zu erleichtern. Wie gesagt: Diese Karte hat einen sehr philosophischen Ansatz, aber natürlich kann sie dir in einer Legung auch ganz konkrete Antworten geben. Ganz gleich, wie du sie dann interpretierst, behalte immer im Auge, dass bei dem Thema, das dich gerade bewegt, Gefühl und Verstand in Einklang gebracht werden müssen.
Und damit bin ich wieder bei meinem Eingangsgedanken angelangt: Ob im persönlichen Erleben, im sozialen Miteinander oder im Lenken der Weltgeschichte: Wenn wir es schaffen, Seele und Geist zusammen arbeiten zu lassen und uns in all unsren Taten und im menschlichen Miteinander in einer ganzheitlicher Sichtweise üben, werden wir Lösung für unsere großen und kleinen Probleme finden.