Die Kleine Meerjungfrau — eine Tarotlegung gegen Liebeskummer

Die Kleine Meer­jung­frau“, eine Tarot-Aus­lage gegen Lie­bes­kummer, ist eine meiner per­sön­li­chen Lieblingslegungen.

Ein „Fische-Mär­chen“ nennt Bri­gitte Hamann in ihrem Buch „Die zwölf Arche­typen“ dieses bewe­gende Mär­chen von Hans Chri­stian Andersen. Nun bin ich Fischin und neben „Der Fischer und seine Frau“ gehörte dieses Mär­chen immer zu meinen lieb­sten. Sehn­sucht nach anderen Welten, Opfer­be­reit­schaft und beson­ders die eigene Erlö­sung  durch unei­gen­nüt­zige Liebe sind schließ­lich die Grund­themen dieses semi-auto­bio­gra­phi­schen Werks, in dem der sen­sible Autor seiner uner­füllten Liebe zu seinem ver­ehrten Edvard Collins ein Denkmal setzt. Andersen ver­fasst die Geschichte anläss­lich der Hoch­zeit des Jugend­freundes. Stell­ver­tre­tend für den Dichter durch­lebt in ihr die wun­der­schöne und zarte See­jung­frau die Höhen und Tiefen ihrer lei­den­schaft­li­chen Liebe zum boden­stän­digen Men­schen­prinzen. Für ihn opfert sie ihre Heimat, ihre Familie und selbst ihre betö­rende Stimme, nur damit sie — stets von uner­träg­li­chen Schmerzen geplagt — täg­lich in seiner Nähe sein darf. Und der Prinz? Der nimmt von all dem nichts wahr — liebt und hei­ratet eine andere, ohne auch nur zu bemerken, was in der zur Stumm­heit ver­dammten Nixe vor sich geht.

Manche Liebe wird nicht erwidert

Eine unsterb­liche Liebe, die nicht erwi­dert, viel­leicht nicht einmal gesehen wird. Wer kennt das nicht? Und was für eine bit­tere Lek­tion, lernen zu müssen, dass wir keinen Anspruch auf Erfül­lung unserer Wün­sche an den Traum­prinzen haben. Viel­mehr ist in sol­chen Begeg­nungen selbst­lose Liebe das Ziel. Der kleinen See­jung­frau gelingt diese sehr schwere Her­aus­for­de­rung: Vor die Wahl gestellt, den Prinzen zu töten und wieder glück­lich heim­zu­kehren oder seine Liebe zu einer anderen zu segnen, ent­scheidet sie sich für letz­teres und wird — als erste Mee­res­be­woh­nerin —  mit einer unsterb­li­chen Seele belohnt. Diese heroi­sche Tat brachte ihr außerdem ein Ehren­denkmal am Ufer Kopen­ha­gens , zu dem Frisch­ver­mählte seither pil­gern, um sich unter ihrer Statue zu küssen, damit ihre Liebe lang und fruchtbar bleibt.

Eine Tarotlegung gegen Liebeskummer

Allen, die sich in der See­jung­frau und ihren unstill­baren Sehn­süchten wieder finden, ist das fol­gende Lege­sy­stem gewidmet. Ich habe mich bei der Ent­wick­lung von John Neu­meiers genialem gleich­na­migen Ballet und Carl Röh­rigs Ver­sion der Prin­zessin der Kelche inspi­rieren lassen, in deren selbst­ver­sun­kenem Sich-Treiben-Lassen ich viel von der Traum­welt der Fischefrau erkenne.

Tarot-Aus­lage “Die Kleine Meer­jung­frau” von Kir­sten Buch­holzer Bilder aus dem Röhrig-Tarot © www.koenigsfurt-urania.com

Das Legesystem „Die kleine Meerjungfrau“

Posi­tion 1 stellt die flie­ßende Heimat der kleinen See­jung­frau dar und zeigt, welche Sehn­süchte und Hoff­nungen in unseren eigenen Mär­chen­prinzen hinein pro­ji­ziert werden. Posi­tion 2 steht für den Ratio vor dem die Prin­zessin die Augen ver­schließt, und somit dafür, wie die Situa­tion objektiv betrachtet tat­säch­lich aus­sieht. Der Fisch­schwanz (in der Kelch­prin­zessin durch eine Feder ange­deutet) auf Posi­tion 3 weist auf trieb­hafte, tie­ri­sche Instinkte hin (Eifer­sucht, Ego­ismus, Zer­stö­rungswut, Neid…), die es bezüg­lich des Themas zu über­winden gilt.  Auf Posi­tion 4 begegnen wir der Furcht ein­flö­ßenden Meer­hexe, die der kleinen See­jung­frau mensch­liche Beine zum Preis ihrer Stimme ver­kauft. Sie sym­bo­li­siert das Opfer und den Mut, die wir auf­bringen müssen, wenn wir aus einer uner­füllten Liebe etwas lernen und sie trans­for­mieren wollen, damit wir künftig mit gegen­sei­tiger Liebe belohnt werden. Posi­tion 5  sym­bo­li­siert das Reich der Töchter der Luft, in das die kleine See­jung­frau Einzug hält, nachdem sie ihrem Herzen, nicht ihren Instinkten gefolgt ist. Hier finden wir die Beloh­nung für unser tap­feres Los­lassen. Schließ­lich auf Posi­tion 6 die Welt der Sterne, die die kleine See­jung­frau so gern betrachtet, führt uns ins Reich unserer Seele und zeigt uns, was hinter der schmerz­haften Erfah­rung wahr und not­wendig war, um uns selbst besser kennen zu lernen und unser Poten­tial auf dieser Welt voll auszuleben.

Ein Beispiel aus der Legepraxis

Ein Bei­spiel: Seit Jahren ist Michael in Fran­ziska ver­liebt. Anfangs hatte sie sich auf eine Liaison mit ihm ein­ge­lassen, doch diese sehr schnell mit einem „Lass uns Freunde bleiben“ beendet als sie Tobias kennen lernte. Obwohl die beiden bald ein festes Paar waren, gab Michael die Hoff­nung nicht auf, dass sie sich doch noch für ihn ent­scheiden würde.  Dabei sah er selbst jedes gele­gent­liche, freund­liche „Hallo, wie geht es dir?“ als ver­steckten Lie­bes­be­weis. Nun ist Fran­ziska schwanger von Tobias, die Hoch­zeit ist in Pla­nung. Michael muss sich ein­ge­stehen, dass seine Ange­be­tete wohl doch nicht zu ihm kommen wird. Er möchte wissen, warum er diese schmerz­liche Erfah­rung machen musste und wie er sich nun am besten ver­hält, um die Situa­tion für sich zu akzep­tieren und zu verarbeiten.

Fol­gende Karten wurden mit dem Röhrig-Deck gezogen:

Ein Pra­xis­bei­spiel “Die Kleine Meer­jung­frau” von Kir­sten Buch­holzer Bilder aus dem Röhrig-Tarot © www.koenigsfurt-urania.com

Betrachten wir die Aus­lage, fällt erst einmal die völ­lige Abwe­sen­heit von Gefühls­karten auf. Das Pro­blem liegt ein­deutig im Kopf, wie die Schwert­karten auf Posi­tion 1 und 5 zeigen. Es scheint auch darum zu gehen, Wil­lens­stärke und mehr Selbst­be­wusst­sein zu ent­wickeln (2 Ritter gegen einen Prinzen). Auch auf­fällig — es kommen keine weib­li­chen, nur männ­liche Hof­karten-Such­bilder in dieser Legung vor. Die Quint­essenz „Der Mond“ spie­gelt sehr schön den der­zei­tigen Gefühls­zu­stand Michaels. Die Karte, die auch als „Nacht der Seele“ bekannt ist, weist darauf hin, dass er sich durch seine Unsi­cher­heiten und Ängste weiter bewegen muss, damit er in hof­fent­lich abseh­barer Zeit zur eigenen Sonne gelangt. Ein mög­li­ches Motto: Augen zu und durch!

Die 8 der Schwerter als Reprä­sen­tanten von Michaels Sehn­sucht schließen direkt an das Thema an. Ein Mann mit einem großen Fra­ge­zei­chen über dem Kopf zwi­schen zwei Frauen, beide gleich ver­lockend. Die Karte, die an die Mar­seiller Ver­sion des Trumpfes VI erin­nert, zeigt, wie gern Michael nicht aktiv werden und in der Illu­sion ver­harren möchte, dass sich alles von selbst richten wird. Das hat es nun ja auch getan, wenn auch nicht wie erhofft. Gut für Michael, dass sich eine Alter­na­tive bereits bietet, wenn er den Mut hat, auf­zu­sehen. Der Ritter der Stäbe, der die objek­tive Rea­lität beschreibt, zeigt eben­falls, dass er wohl in all den Jahren seine beacht­liche Energie zurück gehalten hat, nicht für seine Sehn­süchte gekämpft hat. Sie zeigt aber auch, dass er ein durchaus attrak­tiver Mann ist, der sicher bereits von anderen Frauen begehrt wird (siehe 8 der Schwerter).  Das As der Scheiben als nie­dere Moti­va­tion bestä­tigt noch einmal, dass sich seine Sehn­süchte in der von ihm vor­ge­stellten Form nicht mate­ria­li­sieren lassen werden. Gleich­zeitig weisen sie erneut darauf hin, dass er ein Mann mit Ambi­tionen und Talenten ist (siehe auch Ritter der Scheiben), der sich darauf kon­zen­trieren sollte, diese zu Tage zu för­dern, anstatt seine Zeit weiter fruchtlos zu ver­schwenden. Das Opfer wird vom Prinzen der Stäbe ver­kör­pert. Dieser etwas unreife junge Mann steht bei Röhrig u.a. für Romantik, Flirt und lei­den­schaft­liche Ange­bote. Erneut bestä­tigt sich, die Zeiten des Schmach­tens und Träu­mens (man beachte die geschlos­senen Augen) sind vorbei. Es heißt, Abschied von Illu­sionen zu nehmen und sich im Ernst des Lebens zu beweisen. Die  9 der Schwerter als höhere Erkenntnis spricht noch einmal vom Schmerz, den die Des­il­lu­sio­nie­rung Michael bringt. Als num­e­ro­lo­gi­scher näch­ster Schritt nach der 8 der Schwerter ver­spricht sie aber auch, dass durch das Gesche­hene eine Ein­sicht erlangt werden kann, die ihn nach­haltig prägen und zu einem rei­feren, ent­schei­dungs­freu­di­geren Mann machen wird. Dieser sehen wir noch einmal in Posi­tion 6, dem See­len­thema. Was Michael aus dem Erlebten lernen kann, was ihm immer bleibt, ist, dass er einer Frau durchaus viel zu bieten hat: Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein, Ehr­lich­keit und einen sehr guten Ver­sor­ger­in­stinkt. Cha­rak­ter­ei­gen­schaften, die in der Frau­en­welt hoch im Kurs stehen, und die wohl auch Fran­ziska wahr­ge­nommen hätte, wenn er sich anders prä­sen­tiert hätte.

Nach Ana­lyse der Legung beschloss Michael, sich ver­mehrt seiner Kar­riere zuzu­wenden, um seinen Lie­bes­kummer zu über­winden. Schnell wurden seine plötz­li­chen Ambi­tionen wahr­ge­nommen und geför­dert. Heute ist Michael in einer Füh­rungs­po­si­tion. Er trifft sich häufig mit sehr inter­es­sierten Damen. Ent­schieden hat er sich für keine, denn der­zeit genießt er ein­fach seinen Erfolg.

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