Zur Tag- und Nachtgleiche im September — wenn selbst die Natur auf Gleichstand schaltet — gilt es auch persönlich Bilanz zu ziehen: Ob über die Entwicklung dieses unberechenbaren Jahres 2021 oder für das Leben im Allgemeinen.
In ihrem üppige Standardwerk „Tarotweisheiten“ stellt die amerikanische Tarot-Expertin Rachel Pollack eine „Gerechtigkeits“-Legung vor, die ich etwas abgeändert habe. Sie orientiert sich an der Waite-Smith Variante des Trumpfs und wird in Form der dort abgebildeten Waage ausgelegt. Hier geht’s zum Video.
Tag- und Nachtgleiche: Eine Tarotlegung von Rachel Pollack
Die Positionen lauten wie folgt:
Pos 1 Rechte Waagschale: Was habe ich bezüglich des Themas von der irdischen/menschlichen Gerechtigkeit zu erwarten?
Pos 2 Linke Waagschale: Was habe ich bezüglich des Themas von der übergeordneten/seelischen Gerechtigkeit zu erwarten?
Pos 3 Hand der Gerechtigkeit: Warum passiert mir, was mir passiert?
Pos 4 Verbindungsstück der beiden Waagschalen: Welche Konsequenzen ziehe ich daraus für meinen weiteren Weg? Was ist mein nächster Schritt?
Das Legesystem kann als Resümee für einen auslaufenden Jupiter-Zyklus, als Bestandsaufnahme für das aktuelle Jahr oder eine bestimmte Thematik betreffend verwendet werden. Im folgenden Beispiel aus der Legepraxis habe ich eine Situation damit beleuchtet, in der sich eine Kundin ungerecht behandelt fühlte…
Ein Beispiel aus der Legepraxis
12 Jahre lang hat sich Helga gewerkschaftliche sehr engagiert. Die Hoffnungen, dass sie und ihre Genossen etwas innerhalb ihres Berufsstandes oder gar gesellschaftlich bewegen könnten, hat sich aber leider noch immer nicht erfüllt. Oft fühlt sich Helga ungerecht behandelt, sie hat Menschen innerhalb der Vereinigung an sich vorbeiziehen sehen, ihr Engagement wurde nicht gesehen und ihre Firma spiegelt ihr offen, dass sie es gar nicht begrüßt, dass sie aktiv in der Gewerkschaft ist. Helga ist müde und antriebslos. Sie überlegt oft, was sie falsch gemacht hat und wie sie sich verbessern könnte. Gern hätte sie von den Karten ein Zeichen, dass ihre Mühe nicht umsonst war. Sie überlegt, ob sie — nach all den Jahren nutzlos scheinender Arbeit — aus der Gewerkschaft austritt. Gemeinsam ziehen wir Karten aus dem Relative Tarot von Carrie Paris in der vorgestellten Auslageform:
Der erste Blick auf die Karten erstaunt sowohl Helga als auch mich: Der Hohepriester auf Pos 1, die irdische Gerechtigkeit, scheint dem Empfinden von Frustration und Sinnlosigkeit ihrer Anstrengungen nicht wirklich zu entsprechen. Schließlich beschreibt er eine Form der Einweihung, einem Ruf, dem man folgen darf oder einer Chance, ins Unbekannte aufzubrechen — wenn man mutig genug dazu ist. Ist Helga vielleicht zu ungeduldig — was nach 12 Jahren Arbeit schwer fällt zu glauben — oder aber ist sie noch nicht weit genug gegangen mit ihrem Engagement?
Ja, andere Menschen sind womöglich an ihr vorbeigezogen, aber hat sie sich auch wirklich um ihr weltliches Vorankommen in der Organisation bemüht oder sich eher „nur“ für die Sache an sich eingesetzt? Der Hierophant an dieser Position gibt Helga wirklich zu denken… Auch die 9 Kelche, die für die irdische Gerechtigkeit bezüglich des Themas steht, ist keineswegs eine strafende oder beunruhigende Karte. Als 9 beschreibt sie zwar das Ende eines Zyklus (eben 12 Jahre, ein Jupiterzyklus), aber gleichzeitig auch einen freudigen Abschluss, der zu Genuss und Freude führt.
Da beide Karten auch emotionale Schwebezustände beschreiben und auf der Position 3 der Bube der Münzen liegt, der symbolisiert, warum Helga sich derzeit fühlt wie sie sich fühlt, ermutige ich sie dazu, noch einmal genau nachzudenken, wie sehr sie aktiv den Wunsch formuliert hat, stärker in der Gewerkschaft gesehen zu werden und als engagiertes, vielleicht sogar bezahltes Mitglied wahrgenommen zu werden. Schließlich steht der Bube der Münzen für lukrative finanzielle Neuanfänge, den Aufbau von Vermögen aus eigener Kraft oder ein neues Jobangbot / Bewerbungen in eigener Initiative.
Beim Anblick der Karten und durch unser Gespräch kommt Helga ins Grübeln. Ihr wird klar, dass sie all die Jahre zwar viel Herzblut in ihre Aktivität gesteckt, aber nie einen Lohn oder Ausgleich für ihre Arbeit gefordert hat. Offensichtlich, so wird ihr klar, hat sie erwartet, dass dies von alleine geschehen wird. Hier ist der Hierophant als Repräsentant der irdischen Gerechtigkeit ein konkreter Hinweis, dass die Dinge so nicht laufen: „Klopfe an und es wird dir aufgetan!“ ist seine Devise, sonst hüllt er sich in Schweigen. Somit könnte der Prinz der Scheiben auf der „Warum“-Position auch bedeuten, dass Helga von der Gerechtigkeit aufgefordert wird, ihre Gefühle und ihre Forderungen eigenständig auszudrücken und nicht stumm auf eine Belohnung zu warten.
Gesagt, getan? Nun, ein wenig wird diese aktive Energie dann doch von der Hohepriesterin abgefangen. Diese steht ja für intuitives, passives Erfassen einer Aktion. Uns beiden scheint sie weder die Aufforderung darzustellen, die Gewerkschaft zu verlassen, noch sich jetzt übereifrig in den Vordergrund zu spielen. Abwarten scheint die Devise zu lauten. Die Quintessenz XVI, der Turm, bestätigt diese Entscheidung erst einmal. Er deutet darauf hin, dass Helgas letztendliche Entscheidung durch äußere Umstände / drastische Veränderungen stark mit beeinflusst werden könnte.
Helga hat den von uns erarbeiteten Rat der Karten erst mal befolgt. Frisch motiviert hat sie sich wieder engagierter ins Gewerkschaftsgeschehen eingebracht und sogar die eine oder andere Initiative gestartet. Wenige Monate später musste ein Vorstandsmitglied aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Mutig stellte sich Helga zum ersten Mal der Wahl. Sie wurde mit großer Mehrheit in das Amt eingesetzt.