Ob als Ritter der Scheiben oder König der Münzen* unterwegs — dieser Edelmann rangiert bei vielen Singles auf Platz 1 der Suchliste „Mein idealer Lebenspartner“. Besonders, wer bei der Familienplanung von wässrigeren Träumern, viel versprechenden Luftikussen oder feurigen Strohfeuer-Leidenschaftlern lange genug enttäuscht wurde, weiß die bodenständigen Qualitäten dieses Erdmannes so richtig zu schätzen. Gleich einem Fels in der Brandung – so lautet die Hoffnung – bietet dieser gefestigte Charakter eine breite Schulter zum Anlehnen, beschützt vor allem Unbill des Lebens und gibt finanzielle und emotionale Sicherheit.
Sein konservatives und absicherndes Denken ist vielleicht nicht unbedingt hoch romantisch oder wild leidenschaftlich, doch gerade das macht ihn in vielen Augen zu einem Mann mit eindeutigem Vater- und Versoger-Potential. Selbst die sonst recht kontrovers argumentierenden Tarot-Visionäre Arthur E. Waite und Aleister Crowley stimmten dieser These anscheinend zu. Betrachten wir die nach ihren Vorgaben entstandenen Interpretationen dieses soliden Charakters doch einmal etwas näher.
König der Münzen — Herr des weiten und fruchtbaren Landes
Waite-Smiths König der Münzen kommt der Umsetzung eines der Untertitel nahe, mit dem der englische Orden „Golden Dawn“ diesen Souverän bedachte: Der „Herr des weiten und fruchtbaren Landes“ hält Audienz vor goldenem, willensstarken Hintergrund und genießt dabei den Überblick herab von hohen Zinnen. Nahezu verwachsen mit der Natur scheint er. Ein eindrucksvolles Bild der Ruhe, Gelassenheit und Zentrierung. Äußerst unwahrscheinlich, dass uns dieser verwurzelte Mann mit jenen dramatischen Gefühls- oder Wutausbrüchen irritieren wird, die seine über Wasser oder Feuer regierenden Brüder zuweilen schütteln. Auch vor der teilweise schneidenden, kalten Wortgewalt des Schwertregenten sind wir hier so gut wie sicher.
Vielleicht müssen wir allerdings – wie Waite es selbst formulierte – bei diesem Mann eine Neigung zur Lethargie in Kauf nehmen, wenn wir uns näher auf ihn einlassen. Doch nicht jeder Tag muss schließlich ein Abenteuer sein. Dafür wird jedwede Phlegmatendenz durch zahlreiche handfeste Vorteile aufgehoben: Geschäftstüchtig und praktisch ist dieser irdische Vertreter des archetypischen Herrschers, der seine Münze so fest im Griff hat. Seine unter dem prunkvollen Gewand fast verdeckte Rüstung wie auch die feste Burg zeigen ihn allzeit bereit, sich selbst, seine Liebsten und seinen Besitz zu verteidigen. Und die ihn umwuchernden Weinreben sowie kostbaren Stoffe weisen ihn aus als Mann von Welt, mit einem guten Gespür für Genuss, Luxus und Sinnlichkeit. Außerdem rücken die Reben ihn in die Nähe des trinkfreudigen Gottes Dionysos, Vertreter des Lustprinzips auf Erden. Wenn das keine rosigen Liebesaussichten sind!
Ritter der Scheiben — Feuer der Erde
Der auf Crowley-Harris’ Version dargestellte Hirschhelm schafft einen ähnlichen, äußerst sinnlichen Bezug zum griechischen Ekstase-Gott. Und auch andere Charakterparallelen ergeben sich: Der hier dargestellte Reiter sitzt ruhig auf einem regungslosen, geerdeten Pferd inmitten einer fruchtbaren, Licht durchfluteten Landschaft. Der im Hintergrund sichtbare Berg spiegelt die großen Ambitionen des Ritters wider. Doch anders als bei Waite-Smith ist hier der Aspekt von Schutz und Verteidigung durch die Körper deckende schwarze Rüstung stärker betont, selbst wenn das Visier derzeit geöffnet ist. Außerdem sehen wir einen Mann, der nicht nur thront und aus der Höhe delegiert, sondern offensichtlich seinen Dreschflegel aktiv und – wie sein erschöpftes Ross demonstriert – unter großer Anstrengung zum Nutzen seiner Schutzbefohlenen zum Einsatz bringt.
Schließlich ist Erntezeit und höchster Einsatz ist gefragt, wenn der Ritter der Scheiben, der sich laut Crowley „voll auf die Erzeugung von Nahrung“ konzentriert, die Früchte langer Planung und Pflege ernten will. Von möglicher Lethargie also keine Spur, auch wenn kleine Pausen sicher sinnvoll sind. Dies beweisen auch die konzentrischen Energiekreise, die vom Schild des Ritters ausgehen. Sie sprechen von geistiger Höchstleistung sowie Aussendung starken Willens und verbinden diese Karte mit der jugendlich, strebenden Kraft von Crowley-Harris’ Atu VII, Der Wagen. Kein Wunder bei einer Hofkarte, die als „Feuer der Erde“ bezeichnet wird. Wie Waite-Smiths Interpretation, illustriert auch dieses Bild einen Untertitel des „Golden Dawn“: „König der Erdgeister“. Denn des Ritters gedrungene Gestalt rückt ihn in die Nähe der mächtigen, geschäftstüchtigen und fruchtbaren Zwergenherrscher, deren einer moderner Vertreter Held Gimmli aus Der Herr der Ringe ist.
König oder Ritter der Erde — ein Heilpraktiker?
Natürliche Autorität, gesellschaftlicher Status, Reichtum und Macht sprechen aus beiden vorgestellten Interpretationen. Doch ein weiterer Aspekt vereint die Karten. Es ist eine wichtige Aufgabe dieses Potentaten, die Materie nicht nur zu beherrschen, sondern auch zu beseelen und zu heilen. Dies wird im König der Pentakel, wie er ursprünglich von Waite bezeichnet wurde, durch das Pentagramm auf seinem Amulett, im Ritter der Scheiben durch die goldenen, vom Schild ausstrahlenden Lichtfluten versinnbildlicht. Somit können nicht nur erfolgreiche Geschäftsmänner, sondern auch Ärzte und Heiler durch diese Karte repräsentiert werden. Ein Charakteristikum, das der Künstler Carl‑W. Röhrig in seinem Tarot-Deck besonders betont.
Zu beachten ist auf jeden Fall: In der Arbeitswelt oder im Heim – dieser Mann wird auf dem Chefsessel zu finden sein. Und auch wenn er großzügig und führsorglich ist, mag er es gar nicht, wenn seine Anweisungen nicht ordnungsgemäß und fraglos umgesetzt werden. Dann kann seine joviale Art auch schnell mal in Herrschsucht umschlagen. Dieser Mann ist eben seiner Ansicht nach zum Dominieren geboren und wird sich mit allen Mitteln, vor allem aber mit natürlicher Autorität durchsetzen wollen. Dabei kann sein Ernteinstrument, der Dreschflegel, allerdings auch zum Prügel werden.
Hier siehst du den Ritter der Scheiben aus dem genialen Röhrig-Tarot
© Pablo Röhrig.
Was bedeutet der Ritter-König in einer Legung
In einer Legung kann diese Karte entweder einen Menschen im Umfeld des Fragenden repräsentieren und uns in diesem Zusammenhang zum Nachdenken über Begriffe wie Beständigkeit, Treue und Tatkraft anregen. Sinnvoller ist es jedoch, den Ritter-König wenn er fällt als eigenen Persönlichkeitsanteil zu betrachten. Dann sollten wir uns Fragen stellen, wie „Entfalte ich in meinem Leben mein volles Potential?“ oder „Welchen Preis bin ich bereit, für materielle Sorglosigkeit zu zahlen?“ Für Gesundheit, Finanzen und Sicherheit ist diese Karte oft ein gutes Omen – wenn wir lernen, unseren eigenen Ritter-König zu aktivieren und gezielt einzusetzen.
* Diesen Artikel habe ich 2008 verfasst. Damals war ich der festen Überzeugung, dass der Crowley-Ritter dem Waite-König entspricht. Heute habe ich eine andere Haltung dazu. Mehr zu diesem Thema findest du in diesem YouTube-Video.
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