Lilith – dieser Name umweht seit Jahrtausenden ein Hauch von Geheimnis. Für manche ist sie eine geflügelte Göttin, für andere die erste Frau Adams, die sich weigerte, sich zu unterwerfen. In alten Mythen taucht sie mal als Beschützerin, mal als Dämonin auf. In der Astrologie ist Lilith heute kein Himmelskörper im klassischen Sinn, sondern ein symbolträchtiger Punkt in der Mondbahn – und ein archetypischer Schlüssel zu Themen wie Selbstbestimmung, Tabubrüche und archaische Kraft.
Die ältesten Spuren von Lilith führen ins alte Sumer, ins südliche Mesopotamien, rund 2000 v. Chr. Damals war sie eine Himmels- und Erdverbundene Göttin, oft mit Löwen, Eulen und Schlangen dargestellt – Symbole für Stärke, Weisheit und die Mysterien von Leben und Tod. In babylonischen und assyrischen Texten erscheint Lilītu später als nächtliches Wesen, manchmal gefährlich, manchmal verführerisch. Während des babylonischen Exils gelangte sie in den jüdischen Kulturkreis. In der Bibel (Jesaja 34:14) wird sie als Nachtgespenst erwähnt, im Talmud und in der Kabbala des Mittelalters wird sie schließlich zur ersten Frau Adams stilisiert – eine, die sich nicht unterordnete, das Paradies verließ und fortan als Dämonin galt.
Lilith astronomisch
Ihre astrologische Karriere begann viel später. 1898 behauptete der Hamburger Hobby-Astronom Georg Waltemath, er habe einen zweiten Mond — und zehn Jahre später auch noch einen dritten Mond entdeckt – dunkel, unsichtbar, nur manchmal vor der Sonne sichtbar. Der britische Astrologe Sepharial griff diese Idee 1918 auf, taufte den hypothetischen Himmelskörper Lilith und gab ihm eine astrologische Bedeutung. Als sich herausstellte, dass es diesen Mond nicht gibt, verlegte der französische Astrologe Dom Néroman den Namen in den 1930ern auf das Apogäum – den Punkt, an dem der Mond am weitesten von der Erde entfernt ist. In Frankreich heißt dieser Punkt bis heute Lune Noire („Schwarze Mondin“) und steht dem erdnächsten Punkt, Priapus, genau gegenüber.
Lilith gibt es astrologisch in mehreren Varianten: als mittlere Lilith (geglättete Apogäumsbahn), als wahre Lilith (tatsächliche, leicht schwankende Position), als interpolierte Lilith (Rechenwert zwischen Ephemeridenpunkten) und als Asteroid Lilith (1181), ein echter Himmelskörper im Asteroidengürtel. Welche Variante man verwendet, hängt von der astrologischen Schule ab – die Symbolik bleibt im Kern jedoch ähnlich.
Lilith astrologisch
Archetypisch steht Lilith für den Teil in uns, der ungezähmt, eigenständig und kompromisslos authentisch ist. Das kann sich in Selbstbestimmung, in der Rückeroberung verdrängter Sexualität, im Mut zur Andersartigkeit oder im Widerstand gegen fremde Kontrolle zeigen. Dieser „Kern“ ist nicht an ein Geschlecht gebunden. Auch Männer und nicht-binäre Menschen haben Lilith im Horoskop – und auch bei ihnen zeigt sie, wo man sich nicht klein machen will.
In der persönlichen Arbeit kann Lilith dir bewusst machen, wo du dich zurückhältst, weil es nicht „passt“, und wo genau das der Punkt ist, an dem deine größte Lebendigkeit wartet. Sie kann unbequem sein – aber sie ist auch eine Einladung, dich mit der eigenen inneren wilden Göttin zu verbinden, bevor sie in Mythen in Dämonenmasken gesteckt wurde.
Ob du Lilith nun als mythologische Figur, astrologischen Punkt oder psychologisches Symbol betrachtest: Sie ist immer ein Spiegel. Ein Spiegel dafür, wie wir mit Freiheit, Grenzen und unserer eigenen Kraft umgehen – und wie wir das, was wir lange versteckt haben, in etwas Echtes und Lebendiges verwandeln können.
Literaturtipps
Gravelaine, Joëlle de Lilith – Der Schwarze Mond. Die Große Göttin im Horoskop. Edition Astrodata, Wettswil 1990.
Hamann, Brigitte Lilith – Die dunkle Seite im Horoskop befreien. Chiron Verlag, Tübingen 2022.
Klinghammer, Alexandra & Weiss, J. Claude Die Lilith-Fibel – Der Schwarze Mond im Horoskop. Edition Astrodata, Wettswil 2008 (aktuelle Auflagen).
Livaldi-Laun, Lianella Lilith im Transit – Der schwarze Mond im Alltag. Chiron Verlag, Tübingen 2000 (3./4. Aufl. 2004).
Stuckrad, Kocku von Lilith – Im Licht des schwarzen Mondes zur Kraft der Göttin. J. Kamphausen Verlag, 1997.