Kirsten Buchholzer

Tarotwissen

(Alb)Traumdeutung mit Tarot von Lilo Schwarz

Last Updated on 18. Juni 2020 by Tarot­wissen

2019 feiern wir 110 Jahre modernen Tarot. Ende 1909 wurde näm­lich das berühmte Deck von Arthur E. Waite und Pamela Colman Smith im Rider-Verlag ver­öf­fent­licht. Span­nen­der­weise fiel in das­selbe Jahr die erwei­terte Neu­auf­lage der Traum­deu­tung, dem erst­mals 1900 erschie­nenen, Bahn bre­chenden Werk des Tie­fen­psy­cho­logen Sig­mund Freud. Und dieser bereiste 1909 auch noch gemeinsam mit seinem Kol­legen Carl G. Jung – auf dessen For­schungen über das Unbe­wusste sich viele Tarot­in­ter­preten wie bei­spiels­weise Mary K Greer heute berufen – die USA, um ihre revo­lu­tio­nären Thesen dort zu verbreiten. 

Tarot und Traumdeutung — das passt!

Dass das popu­lärste Tarot­spiel der Welt mit seinen das Unter­be­wusst­sein stark sti­mu­lie­renden Bil­dern und die Psy­cho­ana­lyse und Traum­deu­tung fast zeit­gleich ent­standen, ist ein bemer­kens­werter Zufall, den es sicher weiter zu erkunden gilt. Einen Zusam­men­hang schafft bei­spiels­weise die Fern­seh­serie Freud. Auf jeden Fall Grund genug für mich, Tarot und Traum auch einmal in einem Lege­sy­stem zu verbinden. 

Dies hat die Schweizer Tarot-Expertin Lilo Schwarz in ihrem Buch Selbst­coa­ching mit Tarot gemacht. Die darin ent­hal­tene Traum-Legung ist her­vor­ra­gend geeignet für alle, die – wie ich – zwar die Karten mischen können, sich aber mit der Ent­schlüs­se­lung von Traum­sym­bolen schwer tun. Und allen Traum­ex­perten kann sie wert­volle zusätz­liche Hin­weise zur per­sön­li­chen Traum­ana­lyse lie­fern. Da bekomme ich doch gleich Lust, mich ins Schlum­mer­land zu begeben – ganz gleich, ob im Traum­land schöne Visionen oder unbe­hag­liche Bilder auf mich warten.

Das Tarot-Auslagesystem von Lilo Schwarz

Die (Alb)Traumlegung gestaltet sich folgendermaßen:

Das Aus­la­ge­mu­ster der Traum­le­gung von Lilo Schwarz

Wäh­rend sich die Bedeu­tungen der sechs Posi­tionen von selbst erklären, ist es wichtig anzu­merken, dass Posi­tion 1, also der Signi­fi­kator für den Traum, ent­weder offen aus­ge­wählt werden kann oder wie alle anderen Karten ver­deckt gezogen wird. Lilo Schwarz nennt auch die Mög­lich­keit, sowohl einen offenen als auch einen ver­deckt gezo­genen Signi­fi­kator zu nutzen und diese dann als Ein­heit zu deuten. In diesem Fall erwei­tert sich das Lege­mu­ster auf sieben Positionen.

Ein Deutungs-Beispiel aus der Legepraxis

Vor einiger Zeit kam eine Frau zu mir, die seit meh­reren Jahren den Kon­takt zu ihrem Vater abge­bro­chen hatte, was ihr sehr gut tat. Doch nun, unge­fähr einen Monat vor seinem Geburtstag, begann sie, intensiv von ihm zu träumen. Er benahm sich im Traum genauso, wie sie es sich immer gewünscht hatte – lie­be­voll und sie aner­ken­nend – und das machte sie unsi­cher, ob die Träume ledig­lich ihre Sehn­süchte spie­gelten, oder ob sie auf­ge­for­dert wurde, den Kon­takt anläss­lich seines Ehren­tags erneut zu suchen und so end­lich ein befrie­di­gendes Ver­hältnis zu ihm zu begründen. 

Gemeinsam beschlossen sie und ich, uns an Lilos Legung zu ver­su­chen. Dabei ent­schieden wir uns für das unge­wöhn­liche Tarot der 78 Pforten der ita­lie­ni­schen Künstler Anto­nella Pla­tano und Pietro Alligo. Die Bilder erschienen uns nicht nur äußerst „traum“haft, auch die Türen, durch die sich dem Geheimnis jeder Karte öffnen, sym­bo­li­sierten für uns das Hin- und Her­gleiten zwi­schen All­tags­welt und Traumrealität.

Die Fra­gende ent­schied sich für den Herr­scher als offen gewählten Signi­fi­kator, da dieser Trumpf für sie das Thema positiv oder negativ gelebter Auto­rität ver­kör­perte – das Thema, auf dem der Kon­flikt mit ihrem Vater beruhte. Die rest­li­chen Karten zog sie dann wie gewöhn­lich ver­deckt. Hier die Auslage:

So sah die Aus­lage zur Fra­ge­stel­lung der Fra­genden aus.

Was uns gleich ins Auge sprang, war die Tat­sache, dass sich sowohl der Herr­scher als auch die Kraft in geschlos­senen Räumen befanden, wäh­rend alle anderen Karten ein Gefühl von Frei­heit und Offen­heit ver­mit­telten. Der Raum der Kraft, mit der sich die Frau sofort iden­ti­fi­zierte, wirkt dabei aller­dings längst nicht so klau­stro­pho­bisch wie der fast her­me­tisch abge­rie­gelte Trumpf IV. Auch schien es uns, als würde dieser Herr­scher in seinem „Kabuff“ sicher keinen Mil­li­meter von seinem Stand­punkt abwei­chen (auch wenn er das viel­leicht gern wollte), wäh­rend die Dame auf der Kraft eigent­lich viel zu sehr mit dem Löwen – der hier gut den beschwer­li­chen Alltag der selbst­stän­digen Frau sym­bo­li­sieren konnte – beschäf­tigt ist, um sich das Reich des Königs zu begeben. 

Offen­sicht­lich war auch, dass hier zwei starke und eben­bür­tige Men­schen abge­bildet waren, von denen keine/r klein bei­geben würde. Das dritte Große Arkanum der Aus­lage, der Magier auf der Posi­tion des ver­bor­genen Grunds für den Traum, wies aller­dings darauf hin, dass es beiden Haupt­prot­ago­ni­sten gut tun könnte, weniger ver­bissen zu sein und die Leich­tig­keit des Lebens mehr zu genießen. Auch die drin­gende Not­wen­dig­keit der Ent­span­nung schien für die Fra­gende ein Thema zu sein. Doch genau das war für sie sicher nicht leicht – der Ritter der Schwerter, der die Schwie­rig­keiten ansprach, wendet offen­sicht­lich roheste Kraft auf – und das ver­geb­lich – um ver­schlos­sene Türen ein­zu­rennen. Weder das Tem­pe­ra­ment der Kraft, noch das des Herr­schers schienen wirk­lich geeignet, Klä­rung in den Kon­flikt zu bringen. Aller­dings erschien es auch als die fal­sche Stra­tegie, am Geburtstag mit einem Geschenk in der Hand beim Vater auf­zu­tau­chen – dies konnte der Ritter der Scheiben nicht deut­li­cher zum Aus­druck bringen. Laut Posi­tion war dies nicht nur NICHT die Nach­richt der Träume, son­dern es bestand die Mög­lich­keit – wieder mit Ver­weis auf den Schwerter-Ritter –, dass die Frau trotz Ver­söh­nungs­an­gebot über­haupt nicht will­kommen war. 

Was bedeutete also der Traum?

Also besser keine Aus­söh­nung? Was bedeu­tete dann aber der Traum? Die Ant­wort lie­ferte die Neun Scheiben, die im Waite-Smith Tarot eine Frau zeigt, die sich in ihrem eigenen para­die­si­schen Garten äußerst wohl zu fühlen scheint. Sie käme sicher nicht auf die Idee, sich aus ihrem Reich zu begeben und den Herr­scher um eine Audienz zu bitten. In der vor­lie­genden Ver­sion lässt sie aller­dings andere Men­schen an ihrem „Gewinn“, so der Unter­titel der Karte, teil­haben. Für die Frau war die Nach­richt klar: Anstatt gegen ver­schlos­sene Ursprungs-Türen zu häm­mern, war es nun an der Zeit, sich eine eigene, wahl­ver­wandte Familie auf­zu­bauen: Sie sollte Men­schen in ihr Heim – bzw. ihr Herz – zu lassen, die ihre Vor­stel­lungen und Werte teilten und sie mit ihren eigenen Ansichten bereicherten.

Nach der Legung – deren Quint­essenz Der Narr zusätz­lich auf einen radi­kalten Neu­an­fang ver­wies – ent­schied die Frau, sich nicht mehr bei ihrem Vater zu melden, sich mehr Aus­zeiten von ihrer anstren­genden Arbeit zu nehmen und alte und neue Freund­schaften ver­stärkt zu kul­ti­vieren, was ihr große Freude berei­tete. Von ihrem Vater hat sie so weit ich weiß nie wieder gehört – oder geträumt.

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