Last Updated on 23. November 2022 by Tarotwissen
„Aaha, Aaha, Du bist so heiß wie ein Vulkan. Aaha, Aaha, Und heut verbrenn ich mich daran.“
Rex Gildo hatte sicher eher eine Königin im Sinn, doch für mich passen diese Song-Zeilen hervorragend auf den Ritter der Stäbe. Ob nämlich als heißblütiger Latin Lover (das Gegenstück zum romantischen Frauenflüsterer) oder charismatischer Anführer – dieser coole Typ kann dich ganz schön ins Schwitzen bringen. Und mehr noch: die Begegnung mit ihm wird schnell ein riskantes Spiel mit dem Feuer. Eigentlich nicht wirklich verwunderlich, bedenken wir, dass diese Hofkarte von den Mitgliedern des Golden Dawn als „Feuer des Feuers“ bezeichnet wurde – also als das cholerische Element in seiner reinsten Form: hoch explosiv! Astrologisch wird dieser auch als „Herr des Blitzes und des Feuers“ oder „Vater der Vorstellungskraft“ bezeichnete Charakter mit dem zielststrebigen Schützen und dem brodelnden Skorpion in Verbindung gebracht. Was wir uns unter dieser Kombination genau vorzustellen haben, lässt sich sehr schön am Carl Röhrigs Interpretation der Karte ablesen.
Der Ritter der Stäbe im Röhrig Tarot
Sein leicht überheblich wirkender, aber durchaus sehr anziehender Ritter der Stäbe verkörpert schützige Entschlossenheit und Visionskraft ebenso wie skorpionische Präzision und Kontrollverlangen. Die Leidenschaft und scharfe Intuition, die beiden Tierkreiszeichen zu Eigen sind, „feuern“ den hier dargestellten Kämpfer im wahrsten Sinne des Wortes an und machen ihn zu einem attraktiven Partner-Suchbild. Schließlich wollen wir nicht alle einen stabilen Münz-König, romantischen Kelch-Ritter oder verstandesbetonten Schwert-Prinzen. Manche sehnen sich eher nach wild-erotischen Abenteuern und unwiderstehliche Verführung. Die kann uns dieser temperamentvolle Ritter einen Tanz lang sicher bieten, doch ob wir noch ein zweites Mal aufgefordert werden – das ist allerdings nie gewiss.
Unbeständigkeit ist jedoch nicht seine größte Schwäche: Ein wirklich ungebändigtes Exemplar kann er uns und sich selbst sogar wie ein plötzlich ausbrechender Waldbrand gefährlich werden. Will sagen, er kann heftigen Jähzorn, beißenden Zynismus oder sogar fanatische Verbohrtheit entwickeln. Röhrig zeigt ihn allerdings in seiner gereiften Form: allzeit startbereit, das gezügelte Feuer im Hintergrund für eine lohnende Sache einzusetzen und durch dynamisches, oft unerwartetes Handeln im richtigen Moment Bewegung oder sogar radikale Kehrtwendungen in eine Angelegenheit zu bringen. Ob in der Liebe oder in der Arbeitswelt – dieses Pokerface lässt sich so leicht nicht in die Karten schauen und gewinnt eine Zockpartie stets.
Der Ritter der Stäbe im Thoth Tarot von Aleister Crowley
Aleister Crowleys Ritter der Stäbe, an dem sich Röhrig orientiert, scheint diese Gelassenheit eher nicht gegeben zu sein. Frieda Harris’ prachtvolle Karte betont nämlich ein der Gestalt innewohnendes Paradox, das die Tarot-Expertin Rachel Pollack in ihren Tarot-Weisheiten (hier etwas mehr dazu) wie folgt beschreibt: „Es ist die Natur der Herrscher, auf ihren Thronen zu sitzen, um zu regieren, Gesetze zu verabschieden und Hilfe suchenden Bittsteller zur Verfügung zu stehen. Es ist die Natur des Feuers, sich zu bewegen, nach Freiheit zu streben und abzulehnen, was es klein halten will.“
Tatsächlich müssen wir uns beim Anblick der Thoth-Karte fragen, wer hier eigentlich wen regiert. Schließlich umhüllt das hell lodernde Feuer den Reiter wie ein Flammenmeer. Und hat der schwer gerüstete Mann sein sich wild aufbäumendes Pferd auch tatsächlich unter Kontrolle? Oder was machen wir mit dem Wind, der aus allen möglichen Richtungen bläst und unseren Helden leicht aus dem Sattel heben könnte?
Crowley ist sich durchaus bewusst, dass er hier eine schwankenden Persönlichkeit dokumentiert. In seinen Stichworten bezeichnet er diese Figur denn auch als großmütig, stolz, impulsiv und schnell handelnd, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass er durchaus übelgesinnt, grausam, bigott und gewalttätig werden kann. Es ist jedoch genau diese feine Gradwanderung zwischen leidenschaftlicher Glut, gerüstetem Verstand und tierischem Trieb, die diesem Ritter seine Kraft und Selbstsicherheit verleiht. Die es ihm ermöglicht, sich gegen alle äußeren Widerstände durchzusetzen. Ob positiv oder negativ ausgeprägt: der Ritter der Stäbe ist in jedem Fall ein höchst mächtiger Mann.
Tarot-Autor Armin Denner verdeutlicht dies, wenn er ihn wegen seiner Darstellung im Profil und seinem nach links gerichteten Blick als eng verbunden mit dem ebenfalls in Flammen stehenden Crowley-Harris Trumpf IV – Der Kaiser – beschreibt. Und auch der Crowley-Experte AKRON sieht den Streiter als wahren Her-Zog, als jenen Heerführer also, der wie ein junger König Artus vor seinen Mannen in die Schlacht zieht und sie durch seinen eigenen Einsatz und Mut zum Sieg führt. Oder aber gemeinsam mit ihnen wie ein Leonidas untergeht.
Diese sehr treffende Charakterisierung wird dadurch untermauert, dass der Reiter eine riesige Fackel schwingt, die stark an das Ass der Stäbe erinnert: Zeichen energischen Willens, der sich enthusiastisch neuen Projekten zuwendet. Die Fackel macht den Ritter der Stäbe auch zu einem Lichtbringer und Visionsgeber, der allen, die ihm folgen, erleuchtende Impulse in vielleicht dunklen Momenten verleihen kann. Doch wie es mit den kurzlebigen Fackeln so ist – klappt die Umsetzung dieser Inspiration beim ersten Anlauf nicht sofort, sind oft die Ressourcen verbraucht und vereiteln – neben feuriger Ungeduld – einen neuen Versuch. Somit warnt dieser Ritter auch davor, nicht kopflos, nur aus einer plötzlichen Eingebung heraus, zu agieren, sondern sich in Selbstbeherrschung zu üben, bis der richtige Moment gekommen ist.
Der Herrscher der Stäbe im Waite-Smith-Tarot
Dies scheint der Feuer-König von Arthur E. Waite und Pamela Colman Smith (inzwischen ist es gesetzt, dass der König im WS-Tarot gleich dem Ritter im Thoth ist, obwohl ich mir inzwischen darüber unsicher bin und dazu unbedingt einen Blog-Eintrag verfassen muss) bereits gelernt zu haben. Die vielen Löwen auf der Karte verbinden ihn mit dem gleichnahmigen, erfolgsgewohnten Tierkreizeichen und lassen ihn um einiges gesetzter wirken als seinen Schütze-betonten Crowley-Bruder. Das zweite auf der Karte abgebildete Schutztier – der der Legende nach im Feuer wohnende Salamander – verleiht diesem eigentlich schon sehr beeindruckenden Herrscher noch das gewisse geheimnisvolle Etwas, das ihn einfach unwiderstehlich macht.
Auch wenn er im Gegensatz zur Thoth-Version auf einem Thron sitzt – sein Körper wirkt ebenfalls angespannt und jeder Zeit bereit zum Sprung. Vielleicht würde er es lieber seinem leichtlebigen Vasallen, dem Ritter der Stäbe gleichtun, und sich einfach mit ihm ins Abenteuer stürzen ohne einen Gedanken an Morgen verschwenden. Doch da er nun mal zum Stillsitzen und Regieren eingesetzt ist, übt er sich wenigstens in einem dynamischen Regierungsstil – mit aufrecht gehaltenem Zepter-Stab in der rechten, aktiven Hand.
Dass er wie alle Könige im Waite-Smith Tarot eine „Schirmhaube“ trägt, zeigt auch, dass er bereit ist ein gerechter, strenger und entschiedener Schirmherr seines Volkes zu sein. Hajo Banzhaf sieht ihn denn auch als Verkörperung eines Barbarossa oder Salomon – legendäre Lichtgestalten der Gerechtigkeit, die auch heute noch gern als Erlöserfiguren gesehen werden. Es ist erneut Rachel Pollack, die auf die Schattenseiten solcher Mächtigen hinweist: Sie vergleicht den Stab-Regenten mit Julius Caesar, dem Imperator par excellence. Der General übernahm Rom und machte sich selbst zum einzigen Herrscher der demokratisch organisierten Stadt. Somit beleidigte er den Senat und besiegelte seine blutige Ermordung. Wir lernen: Die Hybris dieses feurigen Herrschertypus, dem auch der Löwe Napoleon zugesellt werden kann, ist sicher seine Arroganz. Er sollte unbedingt lernen, allen Menschen – auch denen, die er als unter seiner Würde betrachtet – mehr Umsicht und Respekt entgegenzubringen.
Der Ritter der Stäbe in der Legepraxis
Ziehst du die Karte in einer Legung, solltest du über deine aktiven feurigen Persönlichkeitsanteile nachdenken und darüber, wie du sie derzeit auslebst. Themen wie Überheblichkeit, vorschnelle Impulsivität und Zorn könnten angesprochen werden, aber auch wichtige Fragen wie: „Entfalte ich in derzeit mein eigentlich mein volles Potential?“, „Was sind meine Führungskompetenzen?“, „Wofür brenne ich?“ oder „Was bin ich bereit, für ausgelebte Leidenschaft zu zahlen?“. Denn vergiss nicht: Dieser Mann ist so heiß wie ein Vulkan: Du kannst dir an ihm ordentlich die Finger verbrennen, wenn du ihm fraglos die Führung überläßt.