Kirsten Buchholzer

Tarotwissen

3 Stäbe — Der Weg der Tugend im Tarot

Last Updated on 6. Juli 2021 by Tarot­wissen

1818 schuf der deut­sche Maler Casper David Fried­rich – ein Vor­reiter der roman­ti­schen Bewe­gung – sein groß­ar­tiges Gemälde Wan­derer über dem Nebel­meer. Ich bewun­dere es immer wieder gern, wenn ich in der Ham­burger Kunst­halle unter­wegs bin.

Knapp 100 Jahre später nutzte Pamela Colman Smith ein sehr ähn­li­ches Motiv, um Arthur E. Waites Gedanken zur Tarot­karte Drei der Stäbe bild­lich umzu­setzen. Die Über­ein­stim­mungen sind frap­pie­rend: Auf beiden Bil­dern sehen wir eine Gestalt, die einsam auf einer Anhöhe ste­hend über ein Meer blickt – eines aus Luft, das andere aus Wasser. Auf beiden nimmt sie eine zen­trale, den Flucht­punkt ver­deckende Posi­tion ein und wendet uns dabei den Rücken zu. Dies ist kei­nes­wegs Zufall: In seinem Bil­der­schlüssel des Tarot ver­merkt Waite, dass der Mann auf der Karte von hinten zu sehen sein soll.

3 Stäbe - Neujahrsvorsätze
Die 3 Stäbe im Waite-Smith Deck. © Königs­furt Urania

Tugend — was für ein schöner antiker Klang

Seit der Antike ist diese Dar­stel­lung von Rücken­fi­guren in der Bil­denden Kunst ein beliebtes Stil­mittel, um die Betrachter in das Motiv hin­ein­zu­ziehen, sie mit der dar­ge­stellten Person ver­schmelzen zu lassen. Dabei dient die Natur oft­mals als Pro­jek­ti­ons­fläche für ihre Emp­fin­dungen und Sehn­süchte. Pro­biere es doch einmal aus und geselle dich zu den Herren auf den Bil­dern: Was geht in dir vor, wenn du in das dra­ma­tisch zer­ris­sene Nebel­meer blickst? Was, wenn du das spek­ta­ku­läre Zwie­licht über dem ruhigen Wasser auf der 3 Stäbe aus erster Hand miterlebst?

Wanderer über dem Nebelmeer

Wie Casper David Fried­rich in seinem Gemälde insze­nierten sich die Künstler in der Rücken­an­sicht oft selbst, um mit ihren Betrach­tern bestimmte Gefühle teilen zu können – so will Fried­richs Werk uns u.a. auf die Ent­frem­dung von Natur und Mensch hin­weisen. Pamela Colman Smith, eine in der Kunst­ge­schichte ver­sierte und durch ihre Arbeit in der Thea­ter­welt dra­ma­tur­gisch geschulte Malerin, hat sich zwar nicht selbst auf der Drei der Stäbe ver­ewigt, dort aber eine Gestalt abge­bildet, die für sie selbst, für Waite, für eine/n jede/n Suchende/n – sprich für den Adepten – steht.

Diese Karte kann denn auch als ver­klau­su­lierte Umset­zung des sym­bol­schwan­geren Namens jener spi­ri­tu­ellen Insti­tu­tion, der sowohl Waite als auch Smith lange Zeit ange­hörten, betrachtet werden: Golden Dawn, zu deutsch „Gol­dene Mor­gen­röte“. Schließ­lich sind wir hier Zeugen eines pracht­vollen Son­nen­auf­gangs, der selbst das Meer zu Füßen des Wan­de­rers in gol­denes Licht taucht — so golden, dass es viele Betrachter oft für eine Wüste halten. Als sich die Gründer des Golden Dawn 1888 für diesen Namen ent­schieden, wollten sie damit das auf­kei­mende spi­ri­tu­elle Bewusst­sein und die Erweckung der Seele ver­sinn­bild­li­chen, die sie durch die Arbeit in ihrer Ver­ei­ni­gung anstrebten.

Spirituelles Erwachen zum Sonnenaufgang

See­l­en­er­weckung und spi­ri­tu­elle Bewusst­wer­dung – Schlag­worte, die sich her­vor­ra­gend auf die 3 Stäbe in einer Legung über­tragen lassen. Schließ­lich ver­kör­pert der hier dar­ge­stellte Mann laut astro­lo­gi­scher Kor­re­spon­denz des Golden Dawn eine taten­frohe, jugend­liche Wid­der­sonnen-Energie, die es drängt, lang gehegte Ziele und Visionen – nach dem Inne­halten der Zwei der Stäbe – in die Tat umzu­setzen. Auch für Waite bedeutet die Karte „fest­ge­grün­dete Stärke, Unter­neh­mer­geist und erfolg­reiche Anstren­gung“. Und selbst umge­dreht sieht er in ihr das „Ende von Schwie­rig­keiten“. Offen­sicht­lich kann er ihr nicht viel Nega­tives abringen.

Gedanken zum Waite-Smith Tarot

Auch ich finde dies schwer. Meiner Erfah­rung nach ist die Karte mit dem wun­der­schönen Unter­titel Tugend ein echter Glücks­bringer, wenn wir Mut zur Eigen­in­itia­tive zeigen. Waite betont in seinem Bil­der­schlüssel noch eine wei­tere Bedeu­tung für die Karte. Er sieht im Wan­derer auch einen Geschäfts­mann mit Über­blick, der sein Han­delsgut in den über das Meer segelnden Schiffen in die Welt hinaus sendet. Und fügt geheim­nis­voller fügt hinzu: „… so als ob der erfolg­reiche Han­dels­prinz dir mit einem Blick, der Unter­stüt­zung und Hilfe anbietet, ins Auge schauen würde.“ (Ori­ginal Zitat, Pic­to­rial Key to the Tarot, Arthur E. Waite)

Erfolg­rei­cher Han­dels­prinz? Für mich ein Hin­weis darauf, dass die Drei der Stäbe bei Waite die Ener­gien der Trümpfe Magier und Herr­scher mit­ein­ander ver­bindet. Mit letz­terem teilt die Karte die Däm­mer­stim­mung des Hin­ter­grunds, die wir auf keinem anderen der rest­li­chen 76 Motive finden. Auch schim­mert eine Rüstung unter den prunk­wollen Gewän­dern des Herr­schers wie auch unter dem Wams des Wan­de­rers durch. Somit sind beide Gestalten stets bereit zum Kampf, ver­tei­digen ihren Besitz und wirken auf mich wie natür­liche Eroberer. 

Der rote Mantel und das Stirn­band des Mannes auf der Anhöhe hin­gegen rufen den Magier wach – mit ihm teilt sich der Wan­derer der Drei der Stäbe Erfin­dungs­reichtum, Intel­li­genz und kauf­män­ni­sches Geschick, wenn es um die Umset­zung kurz- und lang­fri­stiger Pro­jekte geht. Sind es diese beiden arche­ty­pi­schen Ener­gien, die uns „ins Auge schauen“, wenn wir die Karte ziehen? Oder denkt Waite beim „Han­dels­prinzen“ an den Göt­ter­boten Hermes-Merkur selbst, der hier auf Reisen geht, um gute Geschäfte zu machen.

Gedanken zum Crowley-Harris Tarot

Auch Alei­ster Crowley ver­bindet die Drei der Stäbe mit einer Trumpf­karte. Er sieht in ihr den Anfang des Früh­lings sym­bo­li­siert, in der die Kraft der Sonne, „die Große Mutter ent­flammt, die nun emp­fängt, vor­be­reitet und mani­fe­stiert“. Eine klare Anspie­lung auf seine durch Frieda Harris umge­setzte Vision der Kai­serin, die durch ihren Kaiser (ver­gleiche auch hier die Hin­ter­grund­farben der beiden Karten) ordent­lich erhitzt wird. Auf einer abstrak­teren Ebene ist die edle Dame num­e­ro­lo­gisch über die Zahl 3 mit der feu­rigen Stäbe-Karte ver­bunden – und sym­bo­lisch durch das Lotus­zepter, der wie der Son­nen­auf­gang auf der Wait­schen Ver­sion spi­ri­tu­elles Erwa­chen bezeichnet.

Als Bedeu­tungen für die Karte nennt Crowley in seinem Buch Thoth „Wille und Herr­schaft auf der Ebene des Cha­rak­ters“ und drückt damit ähn­li­ches wie Waite mit seinem selbst­be­wussten Wan­derer aus.

In einer Legung weist die Karte darauf hin, dass wir das Thema betref­fend nicht mehr auf­zu­halten sind, wenn wir einmal den ersten Schritt zur Erfül­lung unserer Ziele gewagt haben. Denn in diesem Falle sind wir ent­schlossen, unserer ganz per­sön­li­chen Vision und Tugend zu folgen – und bereit einen Preis für die Umset­zung zu zahlen: 

Wir werden es mit unseren Ansichten und Plänen nicht allen Recht machen können. Auch wenn unser Weg gera­de­wegs zu einem per­sön­li­chen Traum führt – viel­leicht begleitet uns strecken­weise nie­mand. Gerade in einer Zeit, in der es nur noch wenige Men­schen zu geben scheint, die Tugend für erstre­bens­wert halten, ist Hal­tung gefragt: Also schlüpfe in den Mann auf der Karte hinein und enga­giere dich — für deine Träume und eine bes­sere Welt.

Übri­gens eignet sich die Karte auch sehr gut, um sich auf Ziele zu fokus­sieren und sie zu errei­chen.

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