Alle Jahre wieder errechnen Tarot-Interessierte die Tarotkarte, die das numerologische Leitmotiv der kommenden zwölf Monate setzen soll. 2018 ist wieder einmal ein Jahr, in dem sich die Geister streiten. Addiert man nämlich die Ziffern des Jahres zusammen — rechnet man also 2+0+1+8 — erhält man die Zahl 11. Diese Meisterzahl ist im Tarot leider mit zwei Karten verbunden: Folgen wir der Nummerierung nach der europäischen Tradition, wie sie beispielsweise im Tarot de Marseille zu finden ist, wird 2018 durch die Karte Kraft bestimmt. Arbeiten wir mit dem anglo-amerikanischen System wie durch das Deck von Arthur E. Waite eingeführt, ist die 11 mit der Karte Gerechtigkeit verbunden. Ich finde, beide Karten haben viel mit der aktuellen Zeitqualität zu tun. Für mich agieren wir Weltenbürger schon einige Jahre unter dem wachsamen Auge der Gerechtigkeit. Sie fordert uns zu Aufrichtigkeit, Gemeinschaftssinn und Eigenverantwortung auf.
Doch leider werden diese schönen Worte in Politik und Gesellschaft immer stärker als lehre Worthülsen gebraucht. Oder empfindest du unsere Welt noch als gerecht?
Die Macht der Kraft
Daher setze ich dieses Jahr all meine Hoffnungen auf die Macht der Kraft. Dieser Tarot-Trumpf wird gern mit der Kardinaltugend »Fortitudo« in Verbindung gebracht, was übersetzt soviel wie Tapferkeit und Stärke bedeutet. Betrachten wir das Motiv der Karte im Tarot de Marseille, wird schnell klar, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Wir sehen eine wohlhabend wirkende, selbstsichere junge Frau, die mit einem Löwen wie mit einem Kuscheltier spielt. Mit Leichtigkeit ergreift sie sein Maul, scheint es zu öffnen und dabei frei von Angst zu sein.
Dieses Motiv ist aus Märchen wie »Die Dame und das Einhorn« oder »Die Schöne und das Biest« bestens bekannt. Dahinter steht der Glauben, dass Unschuld und Reinheit (die Jungfrau) Begierden und Triebe (das Tier) zähmen und nutzbar machen können. Genau darum geht es bei der Kraft. Auf der persönlichen Ebene bist du 2018 dazu aufgefordert, deine niederen Triebe und Ängste in wahrsten Sinne des Wortes in den Griff zu bekommen. Ganz gleich, um welche Themen es nächstes Jahr bei dir geht: Um die Liebe, den beruflichen Erfolg oder die Gesundheit — es ist an der Zeit, sich nicht von deinem Unterleib oder deinem Sicherheitsbedürfnis steuern zu lassen. Tue es der Dame auf der Karte gleich und handele mit Herz UND Verstand:
Den Verstand wirst du auch auf der mitmenschlichen Ebene wieder besonders brauchen. Nur mit ihm kannst du bei den immer undurchsichtigeren Informationen des technisierten Wassermannzeitalters den Durchblick behalten und zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. Auf dein Herz solltest du hören, damit du in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die uns alle bewegenden Themen emphatisch und anderen Meinungen gegenüber aufgeschlossen bleibst.
Vor allem aber: Halte deinen Löwen im Zaum! Denn auch du hast eine Schwachstelle, die das Tier in dir zum Brüllen bringt: Furcht vor der Einsamkeit, Gier nach Triebbefriedigung, Angst, die Arbeit und Sicherheit zu verlieren… Im Jahr der Kraft werden diese Achillesfersen sicher getestet. Es ist wichtig, deine eigenen ehrlich zu benennen. So kannst du besser — alleine oder mit der Unterstützung anderer — gegen deine Triebe ankämpfen und ein Stück selbstsicherer, mutiger und engagierter werden. Damit eröffnet sich dir das volle Potential dieser leidenschaftlichen Karte: Lebensfreude, Genuss und Kreativität bringen dir innere Ruhe und Zufriedenheit.
Wenn jedes Individuum sich derart gestärkt fühlt, haben wir als Gesellschaft die große Chance, endlich etwas für die Welt und die Wesen, die in ihr leben, zu bewegen. 2018 wird dann das Jahr, indem wir mit Stärke und Mut zu uns selbst und unserer Aufgabe im Weltgeschehen finden. Das sind meine Hoffnungen für das kommende Jahr.
Und wo bleibt die Gerechtigkeit?
Allerdings ist da auch noch die Karte Gerechtigkeit. Und die hält ein zweischneidiges Schwert in der Hand: Fällt diese Karte als Antwort auf eine Frage, so verspricht sie ein gerechtes Ergebnis. Interessanterweise wird dies von der fragenden Person stets als unbedingt positiv für sie selbst interpretiert. Doch dem ist leider nicht immer so. Das Universum hat andere Vorstellungen vom Begriff der Gerechtigkeit als unsereins. Ich frage mich, in wie weit wir — individuell und gesellschaftlich — bereit sind, den Richtspruch einer höheren Macht über unser Handeln anzuerkennen. 2018 könnte ein Jahr werden, in dem sich bei diesem Thema die Spreu vom Weizen trennt.
Astrologisch ist die Karte Kraft dem Tierkreiszeichen Löwe zugeordnet. Dieses feurige Zeichen steht wie gesagt für Lebensfreude, Kreativität und Selbstausdruck. Spannenderweise wird auch astrologisch unser »innerer Löwe« gerade stark angesprochen: Bis Ende 2018 durchreist der Mondknoten dies Zeichen und beleuchtet deine seelische Haltung zu seinen Themen. Viel Feuer wird da freigesetzt. In Verbindung mit der Jahreskarte Kraft sehe ich daher eine schwierige Frage auf uns alle zukommen:
Bist du, bin ich, ist die Menschheit bereit, die eigenen »Löwe«-Kräfte nicht nur für persönliche Ziele zu nutzen, sondern auch anderen Glück und Freude zu gönnen und mit ihnen zu teilen? Bitte sage nicht sofort: »Natürlich!« Denke erst einmal etwas nach. Es lohnt sich vielleicht sogar, zum Jahresanfang schriftlich festzuhalten, in welchen Bereichen deines Lebens du bereit bist, deine persönliche Befriedigung zum Wohle aller zurückzustellen und wo das für dich schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit ist? Der Verzicht auf Fleisch, auf den SUV oder den erkämpften Sitzplatz in der U‑Bahn könnten davon genauso betroffen sein, wie das Fremdflirten oder das Erheischen der Gunst des Chefs auf Kosten deiner Kollegen.
Es ist eine der schwierigeren Lektion für den Löwen, im Leben Ehrlichkeit mit selbst und Demut im Miteinander in der Gesellschaft zu erlernen. Doch genau darum geht es im kommenden Jahr. Blicke ich aber in die Welt, sehe ich wenig davon. Nicht nur das viele Menschen, wie weiter oben beschrieben, auf ihrem ganz persönlichen Egotripp sind. Auch die Mächtigen dieser Welt blicken immer weniger nach links und rechts und folgen nur noch den eigenen Begierden und egomanischen Bestrebungen.
Rufe dir noch einmal die Karte Kraft von Aleister Crowley an. Wie anders ist sie doch als die keusche Dame auf der Karte im Tarot de Marseille. Er hat diesen Trumpf Lust getauft und ihn von Lady Frieda Harris als enthemmten Ritt der »Hure Babylon« auf dem »Tier 666« darstellen lassen.
Auf dieser Karte ist sehr anschaulich abgebildet, was passiert, wenn wir unseren Trieben die Zügel überlassen und uns von einem Höhepunkt zum nächsten treiben lassen. Wir verlieren uns und unsere Ziele, lassen uns von Leidenschaft und unserem Unterleib steuern. Hochmut, nicht Demut, Arroganz nicht Toleranz, sind das Resultat davon. Betrachte ich die Lust, halte ich es für umso schwerer, 2018 auf dem Pfad der Tugend zu bleiben. Denn die hier abgebildete Dame hat ja offensichtlich reichlich Spaß.
Dennoch: Selbstkontrolle ist die einzige Lösung, um unsere Leidenschaften und Ängsten zu besiegen und zu Selbsterkenntnis und Weisheit zu gelangen. Wie gesagt: Verstand und Herz sind die wichtigen Mächte in Jahren der Kraft. Leider mangelt es an Vorbildern, die uns dabei unterstützen, diese Mächte zum Wohle aller zu nutzen.
Ich weiß nicht, wie wir die Menschen, die uns regieren, zur Einsicht bewegen. Wie wir sie davon überzeugen können weniger auf den eigenen (Lust)-Gewinn und mehr auf das Wohlbefinden aller zu blicken. Doch du und ich, wir können uns bemühen, auf das «Mehr ist Mehr ist Mehr» und »Geiz ist geil« im Leben zu verzichten und Freude, Genuss und Höhepunkte in der Gemeinschaft zu erleben. Dann wird 2018 ein Jahr der Kraft und Lust und der Gerechtigkeit für eine jede und einen jeden von uns.