Das Kartenlegen mit Tarot existiert wahrscheinlich längst nicht so lange, wie gern behaupten wird. Es hat sich am ehesten aus einem anspruchsvollen Gesellschaftsspiel entwickelt, das seit vielen Jahrhunderten gespielt wird. Als Tarock ist es auch heute noch sehr beliebt, besonders in Frankreich, Italien und in Österreich. Berühmte Anhänger dieses Spiels waren beispielsweise Wolfgang Amadeus Mozart und Siegmund Freud, die gern die Nächte durchspielten um sich zu entspannen. Auch Court de Gebelin, dem wir die steile These verdanken, dass Tarot “Ägyptisches Geheimwissen” enthalte, befand sich beim Kartenspiel in einem Salon des vorrevolutionären Frankreichs…
Die für mich logischste Erklärung, wie Zukunftsdeutung und Tarot zusammenfanden, besagt denn auch, dass dies dem
Flow-Zustand geschuldet war, in den Gamer beim intensiven Zocken verfielen und fallen. Sie stammt von Cynthia Giles. Ich kann mir gleich ihr gut vorstellen, wie man nach vielen Stunden des Kartenspiels beginnt, über die Bilder zu philosophieren und visionieren.
Der „Flow-Zustand“ wurde vom Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi ausführlich untersucht In seinem Buch Flow kannst du mehr darüber lesen. Flow — das ist das erhebende Gefühl völliger mentaler Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit. Ein Zustand, in dem alles wie von selbst geschieht. Wenn das nicht der Idealzustand eines kreativ schreibenden Menschens ist!
Er entsteht am leichtesten, wenn man etwas mit Leidenschaft tut. Es ist zu hoffen, dass dies bei deiner kreativen Arbeit immer der Fall ist. Auch die Atmosphäre, die du dir für den Flow erschaffst, ist sehr wichtig. Die dritte Grundvoraussetzung für den Flow ist, dass du mit deiner Aufgabe weder überfordert, noch unterfordert bist. Er entsteht nur dann, wenn Herausforderungen und Fähigkeiten im Einklang sind. Aus dieser Flow-Formel habe ich ein kleines Legesystem abgeleitet, dass dich in den Flow bringen kann, wenn es gerade mal in Sachen Kreativität nicht so läuft. Das ist übrigens gerade bei mir der Fall: Ich schreibe die letzten Seiten für ein Buch und komme nicht so richtig in die Gänge. Also probiere ich die Legung gleich einmal an mir aus. Die darin beschriebene Situation liegt eine Woche zurück. Inzwischen ist das Projekt abgeschlossen.
Ich greife zu meinem „Studierdeck“ Borderless Smith-Waite Tarot, das immer auf meinem Schreibtisch liegt und ziehe drei Karten zu folgenden Fragen:
Was überfordert mich gerade?
Was unterfordert mich gerade?
Rat: Wie bringe ich meine Fähigkeiten mit der Aufgabe jetzt in Einklang?
Für meine „Überforderung“ ziehe ich die Welt. Alles Klar! Diese Karte ist der höchste Trumpf Tarot. Säße ich jetzt am Spieltisch, hätte ich sehr gute Karten! Vielleicht ist es das, was mich überfordert? Was passiert, wenn dieses Buch, mein Baby, fertig ist? Beginnt dann nicht erst die Arbeit? Wie wird das Kind in der Welt aufgenommen werden? Die Welt verspricht mir da viel Positives — aber auch das bedeutet wieder Arbeit. Eine weitere Überforderung: Ich denke — wie ich jetzt während des Schreibens merke (bin ich etwa schon wieder im Flow?) zu sehr über Sachen nach, die einfach noch nicht spruchreif sind.
Derzeit ist kein Trumpf, kein großes Lebensthema angesagt. Schnell zurück ins Kleinklein. Über die „Unterforderung“ muss ich dann doch schmunzeln. Ich sehe mich als den alten Mann im Schatten auf der Karte. Ich bin nämlich extra zum Abschluss dieses Buches, an dem ich mit meiner Co-Autorin nun schon ziemlich lange sitzen, in Schreibklausur gegangen. Meinen Mann und meinen Sohn habe ich in Hamburg zurückgelassen. Ich bin sehr froh über die geschenkten Tage — ein echter Luxus für mich. Doch seit ich in meiner Klause sitze, stelle ich fest, dass gar nicht mehr sooooo viel zu tun ist am Buch. Und das was zu tun ist, ist etwas, was ich nicht sehr gern mache: redigieren, überarbeiten und jetzt auch noch Beispiellegungen verfassen. Das finde ich ziemlich langweilig, weil ich nicht in den Dialog mit anderen dabei gehen kann — auch der alte Mann auf dem Bild findet wenig Beachtung.
He, ich will einfach Feedback! Gut, dann sollte ich mir vielleicht etwas Abwechslung gönnen. Kurz was anderes machen, durch Facebook surfen oder mal schnell mit meinem Mann telefonieren. Genau auf all das habe ich jetzt Lust und würde es auch tun, wenn da nicht als Rat der Karten die doofe 9 Stäbe liegen würde. Ja, doof! ich mag die Karte nicht. Sie ist astrologisch dem Mond in Schütze zugeordnet. Das kann mit Begeisterung, Optimismus und Lebensfreude pur übersetzt werden. Aber auf dieser Karte steht dieser misstrauische Typ mit einem Verband um den Kopf. Er scheint etwas zu bewachen und sehr vorsichtig zu sein. Ich sehe in dieser Interpretation der Karte „Stärke” (so ihr Untertitel) immer einen Hinweis darauf, dass jetzt die Zeit ist, mit den eigenen Feuer-Ressourcen, also mit dem Temperament und der Energie, umsichtig umzugehen. Sie zu bändigen und zu bündeln Als 9 und somit letzte einstellige Zahle, ist sie außerdem ein Hinweis, dass das Thema bald abgeschlossen ist. Endspurt ist angesagt, auch wenns wehtut. Also Smartphone und Internet aus und weiter im Text zur nächsten Übung,