Last Updated on 27. Februar 2021 by Tarotwissen
Heute möchte ich dir meine absolute Lieblings-Legung vorstellen: Die „Zigeuner“-Legung. Ich benutze sie besonders gern bei Menschen, die zu einer Beratung kommen und „erst mal so“ wissen wollen. Diese Menschen sind zumeist vom misstrauischen Typus — sie wollen nichts von sich preisgeben, bevor sie nicht meinen, dass ich mein Handwerk verstehe.
Ehe ich mich mit ihnen rumstreite und ihnen erkläre, dass eine unpräzise Frage nur eine unpräzise Antwort erhält, greife ich doch einfach zu diesem Legesystem. Es hat bisher immer seinen Zweck erfüllt. Nachdem ich anhand von elf Karten eine Standortbestimmung gemacht habe, kamen vom Gegenüber deutliche Fragestellungen. Die Legung heißt leider immer noch „Zigeuner“-Legung.
Warum heißt das Ding bloß „Zigeuner“-Legung?
Seit Jahrhunderten „erfreuen“ sich die Roma und Sinti – obwohl ansonsten gefürchtet, diskriminiert und geächtet – des mystischen Rufs, ein fahrendes Volk von Wahrsagern und Schicksalsexperten zu sein. Auch in unserem sogenannten aufgeklärten, dem Orakel gegenüber tendenziell hoch skeptisch eingestellten und psychologisch orientieren Zeitalter ist das nicht anders. Der abfällige, von den Roma und Sinti nicht eingeführte oder akzeptiert, Name „Zigeuner“ ist und bleibt in dieser Hinsicht für die Bürgerswelt ebenso magisch wie werbewirksam. Auch die hier vorgestellte Legung, entworfen von Astrologin und Kartenexpertin Renate Anraths, spielt mit dieser Tatsache. Vielleicht wurde die Legung auch so getauft, weil sie besonders gut für Zustands- und Entwicklungsanalysen ohne konkrete Fragestellung an die Karten geeignet ist.
Hier geht es zum YouTube-Video, das ich über die Legung gemacht habe.
Richtig Wahrsagen mit der „Zigeuner“-Legung
Diese Form des Wahrsagens ist meines Erachtens nach nicht sehr sinnvoll. Sie geben einfach bessere Antworten geben, je direkter ein Thema hinterfragt wird. Doch nutze ich sie wie eingangs beschriebe sehr gern, um dem Kartenlegen gegenüber kritisch eingestellte Menschen, die bei einer Beratung erst einmal nichts zu ihrem Anliegen sagen wollen, aufzulockern. Denn die Legung beleuchtet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehr eindrücklich und verhilft so zu Informationen, die den gegenwärtigen Zustand der fragenden Person präzise wiedergeben, ohne dass diese viel über sich preisgeben muss. Selbstverständlich ist diese Legung jedoch auch für spezifizierte Fragen geeignet, die sie ausführlich beantworten kann.
Der Aufbau der Legung ist wie folgt. Dabei ist anzumerken, dass verschiedene Versionen von ihr existieren. Die hier wiedergegebene findet sich in Anraths‘ sehr zu empfehlenden Buch Tarot. Dem Leben in die Karten schauen.
Wie funktioniert die Auslage?
Ausgangspunkt ist das tatsächliche Hauptanliegen der fragenden Person (Position 1). Die drei darunterliegenden horizontalen Reihen beschreiben dann die Entwicklung des Themas in der Vergangenheit (Positionen 2–4), der Gegenwart (Positionen 5–7) und der Zukunft (Positionen 6–9). Vertikal schildern die drei Reihen die Einstellung der Fragenden auf der bewussten (Positionen 2, 5 und 6) und der unbewussten (Positionen 4, 7 und 10) Ebene sowie den tatsächlichen Ereignisverlauf (Positionen 3, 6 und 9). Dabei ist der Karte auf Position 6, dem tatsächlichen Geschehen in der Gegenwart, bei der Interpretation besondere Bedeutung beizumessen. Position 11 stellt einen zusätzlichen zu berücksichtigenden Faktor in der Gegenwart dar, der meiner Erfahrung nach oft auch ein Impuls von Außen sein kann.
Folgendes Beispiel soll die „Zigeuner“-Auslage praktisch erläutern:
Daniela beschäftigt sich schon seit längerem mit Schamanismus und übt sich regelmäßig in einer Gruppe im Schamanischen Reisen. Sie ist frustriert, weil sie diese Reisen nicht visualisieren, sondern die Erlebnisse nur erfühlen kann. Sie möchte wissen, warum dies so ist und was sie tun kann, um – wie die andern Gruppenmitglieder – klare Bilder zu empfangen. Für die Beantwortung der Frage entschlossen wir uns, mit dem Thoth-Deck zu arbeiten. Natürlich kann man jede Tarot- oder Orakelkarten verwenden.
Ein erster Blick auf die Auslage ergibt, dass das Problem für Daniela, wenn auch irritierend, derzeit wohl nicht von allergrößter Wichtigkeit (nur 2 Große Arkana) ist. Asse und Hofkarten verschiedener Elemente deuten darauf hin, dass sie noch am Anfang ihrer Entwicklung in dieser Reisethematik ist und sich der Wandel vielleicht auch ohne große Mühen und Druck einstellen könnte. Da es hier um ein „Nicht-sehen-können“ geht, bietet sich als nächster Interpretationsschritt an, die Kartenbilder auf sich wirken zu lassen. Hierbei verkörpern die Karten in der Zukunftsreihe (7 Kelche, 5 Stäbe und 5 Schwerter) nach Daniela Einschätzung nicht unbedingt Traumergebnisse. Doch wirkt das klare Gelb der 5 Stäbe sehr zielgerichtet und stark im Vergleich zu den meisten anderen, farblich eher diffus wirkenden Karten in der Auslage. Es macht ein wenig den Eindruck, als ob die polarisierende Spaltung zwischen Farben des Feuers (As und Ritter der Stäbe) und der Luft (Prinz der Schwerter) in der Vergangenheitsreihe durch die erdigen Töne in der Gegenwartslinie (Der Turm, As der Kelche, Prinzessin der Münzen und Lust) bunt durchmischt und dann in der letzten Reihe klar ausbalanciert wird.
In der genaueren Analyse fällt der Prinz der Stäbe als Thema der Legung als sehr treffend auf: Schließlich wird der junge Prinz (mit dem sich Crowley übrigens stark identifizierte und der wie auch die Ergebniskarte 5 Stäbe sein persönliches Siegel trägt) in Yogahaltung dargestellt und von einem ausdrucksstarken Löwen, einem wirklichen Krafttier, auf seinem Wagen gezogen. Ein hervorragendes Symbol für Daniela auf ihren schamanischen Reisen. Gleichzeitig erweckt der schillernde Prinz den Eindruck, mit Stil zu unterwegs zu sein. Wie passend, wenn man gedenkt, dass Daniela selbst in der Vorbesprechung hatte verlauten lassen, sie wolle die Reisen endlich „erster“ Klasse antreten.
Auch auf anderen Karten spielt das Thema Reisen eine Rolle, besonders in der Vergangenheitsreihe. Hier vermitteln das As der Schwerter und der Ritter der Stäbe feurige Aufbruchsstimmung. Die Fackel des Wollens ist entzündet (Quintessenz dieser Reihe ist Trumpf I, Der Magier), der Ritter bäumt sich auf in den Startlöchern (getragen von einem weiteren Krafttier, dem Pferd), doch der Gedanke, verkörpert durch den Prinz der Schwerter, hält die Energie irgendwie auf. Sehr schön ist hier an den drei winzigen Prinzklonen zu sehen, wie Daniela sich bisher mental offensichtlich nicht genug fokusiert oder sogar verrannt hat. Auch scheint das ungeduldige Bedürfnis, endlich etwas zu sehen, sie bisher dazu verleitet zu haben, die Reisen mehr vom eigenen Verstand als vom eigenen Krafttier steuern zu lassen (auch ersichtlich durch die eher „männlich“ bestimmten Karten in dieser Reihe). Diesem Tier auf den Reisen die Führung stärker anzuvertrauen, scheint eine von Danielas Aufgaben zu sein.
Die Gegenwart macht mit dem zentral liegenden As der Kelche und der ruhig abwartenden Prinzessin der Scheiben im Unbewussten einen nicht minder energischen, aber doch weniger angestrengten Eindruck. „In der Ruhe liegt die Kraft“ scheinen diese beiden Karten zu sagen. Sie fordern Daniela auf, sich der Fülle der eigenen Eindrücke und Gefühle hinzugeben und in sie einzutauchen, anstatt die genaue Art der Reise auf Biegen und Brechen nach „Prinz der Schwerter Manier“ bestimmen zu wollen. Der Turm, Trumpf XVI, im bewussten Wahrnehmen, weist darauf hin, dass Daniela inzwischen auch verstanden hat, dass sie das Visualisieren nicht wirklich erzwingen kann und die Mauern oder Blockaden, eher durch das Fließen lassen von Energien als durch Verstandesschlachten zum Einsturz kommen. Neben der Grundstein legenden Prinzessin der Scheiben findet sich in dieser Reihe als zusätzlicher Faktor auch die Karte Lust, Trump XI. Abgesehen davon, dass sich durch diese beiden sehr erdbetonten und sinnlichen Damen Danielas innere Einstellung dem Thema gegenüber allmählich von einer männlichen (Prinz und Ritter in der Vergangenheit) in eine feminine zu wandeln scheint, ist es spannend, die Haltung des Scharlachweibs auf der Lust mit der des Ritters der Stäbe zu vergleichen. Beide halten ihr jeweiliges Krafttier noch am Zügel.
Aber während der Ritter mit seiner brennenden Fackel eine Richtung vorgibt, scheint sich die Lustfrau zurückzulehnen und den Trip auf ihrem Biest einfach richtig zu genießen. Die „Supernova“, die dabei in ihren Händen explodiert, erinnert nicht nur an das As der Kelche im Mittelpunkt der Legung, sondern auch an Trumpf X, Glück. Diese Karte ist sowohl Quintessenz der gesamten Legung als auch der Gegenwartsreihe, was nahe legt, dass Wandel und Durchbruch nicht mehr in all zu weiter Ferne liegen. Sie scheinen gerade jetzt durch Genuss möglich. Nach diesen sehr starken Energien, die die Gegenwart bestimmen, wirkt die Zukunftsreihe mit den etwas unspektakulären Zahlkarten wie ein Antiklimax, auch wenn die 7 und die 5, gestützt von den Energien der Trümpfe Wagen und Hierophant, auf die Möglichkeit spirituellen Aufbruchs schließen lassen.
Dieser Energieabfall liegt sicher u.a. daran, dass der derzeitige Neubeginn und die Umorientierung erst wirklich in Danielas Bewusstsein sickern müssen. Jedenfalls erweckt die 7 Kelche, die hier das bewusste Ablegen von Illusionen über das Wie und Warum einer schamanischen Reise symbolisieren könnte, diesen Eindruck. Und auch Danielas Unterbewusstsein muss die Niederlage bisheriger gedanklicher Schemata erleiden, um sich selbst neu „programmieren“ zu können. Das willensstarke Sonnengelb der 5 Stäbe, die Karte der tatsächlichen zukünftigen Entwicklung, wollte übrigens schon hinter den unbehauenen Bäumen der Prinzessin der Scheiben ungezügelt hervorbrechen. Doch erst gebündelt und gebändigt durch die auf der Ergebniskarte dargestellten machtvollen magischen Zeichen (wir finden hier u.a. das altägyptische Symbol des herrschaftlichen Uräus und das des erneuernden Phönix) scheint eine baldige Umsetzung von Danielas Wunsch gegeben zu sein. Hingabe und Empfängnis der eigenen Vision und Führung durch das Krafttier sind dabei wichtige Schlüsselworte. Die Quintessenz der Zukunftsreihe, Trumpf XVII, der Stern, lässt in jedem Falle darauf hoffen, dass Daniela nicht mehr lange blind durch die schamanischen Landschaften reisen wird.